· 

Wie können Unternehmen ihr Handeln nachhaltiger gestalten?

Ein Beitrag von Katja Leimeister

 

Dies war die Kernfrage des Symposiums Nachhaltigkeit, das am 14.10.2021 von mainproject durchgeführt wurde. „Unternehmen können heute und mittelfristig nicht ohne eine Orientierung an Nachhaltigkeitsgrößen am Markt bleiben.“ Mit diesem Statement führte Prof. Dr. Carsten Reuter ins Online-Symposium ein. Dabei gehe es im Ergebnis immer um eine Balance an ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit.

 

Die ökonomische Dimension ist historisch im Markt etabliert, denn wer nicht ökonomisch, also finanziell nachhaltig wirtschaftet, kann sich nicht am Markt behaupten. Die soziale und ökologische Dimension hat eine stark ethische Komponente und – da nicht von allen Unternehmen aus freien Stücken Maßnahmen zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit ergreifen – werden zunehmend Gesetze und Verordnungen erlassen, die dem unternehmerischen Handeln Grenzen setzen.

 

Gemeinwohlökonomie (GWÖ), ein Beitrag zur Nachhaltigkeit auch am Bayerischen Untermain

Bereits aus dem gesetzlichen Rahmen kann man eine allgemeine unternehmerische Verpflichtung zum Gemeinwohl ablesen. Art 151 der Bayerischen Verfassung schreibt zum Beispiel „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Ähnliches findet sich auch in anderen Landesverfassungen und im Grundgesetz.

 

In der Realität sieht es oft anders aus, berichtet Jörg-Arolf Wittig, Koordinator der GWÖ-Regionalgruppe Vorderer Spessart/Aschaffenburg : Die unternehmerische Tätigkeit dient in erster Linie dem Erzielen von wirtschaftliche Erfolg im Sinne von Gewinn- und Renditemaximierung. Viele soziale und ökologische Aspekte spielen dabei keine Rolle. Die Motivation der Gemeinwohl-Initiative war daher, ein umfassendes Konzept für eine Gemeinwohl-Bilanz zu entwickeln.

 

Die Gemeinwohl-Matrix

Das Konzept beruht auf folgenden Werten: Menschenwürde - Solidarität und Gerechtigkeit - Mitbestimmung und Transparenz - Ökologische Nachhaltigkeit. Angewendet auf die „Berührungsgruppen“ entsteht damit eine Matrix von Handlungsfeldern: 

Matrix Gemeinwohlbilanz / aus Präsentation von Jörg-Arolf Wittig
Matrix Gemeinwohlbilanz / aus Präsentation von Jörg-Arolf Wittig

Weltweite Akzeptanz

Der Gemeinwohl-Ansatz wird nicht nur eigenständig gelebt, sondern verknüpft sich auch mit anderen Nachhaltigkeits-Konzepten, wie z. B. die UN-Nachhaltigkeits-Ziele und Umweltmanagement-Normen. In diesem Sinne hat sich der Ansatz auch weltweit verbreitet und kann neben Unternehmen und Organisationen auch auf beispielsweise Gemeinden oder Regionen angewendet werden.

 

Wittig betont: „Wesentlich ist auch, dass die Gemeinwohl-Orientierung nicht nur Kosten verursacht, sondern auch ökonomische Vorteile mit sich bringt. Einerseits ist es ein Marketinginstrument über das man auch höhere Preise erzielen kann. Zum anderen könnten GW-Unternehmen im Steuersystem auch begünstigt oder gezielt subventioniert werden.“

 

Das Besondere an der Gemeinwohl-Bilanz ist die Kombination des Labels mit einer Community. Über Regionalgruppen werden Erfahrungen und Erfolge ausgetauscht und geteilt. Damit stehen GW-Unternehmen in ihren Bestrebungen nicht alleine.

 

Nachhaltigkeit an der TH Aschaffenburg - Der Weg zu Klimaneutralität bis 2030

 

Nachhaltigkeit ist ein neuer Baustein des Leitbildes der TH Aschaffenburg. Zum 1.7.2021 wurde daher Frau Prof. Sabrina Weithmann zur Nachhaltigkeitsbeauftragten ernannt. Zugleich schreibt die jüngste Gesetzgebung vor, dass die Klimaneutralität bis 2045 gesamtgesellschaftlich realisiert werden muss. Dabei soll die staatliche Verwaltung in Bayern eine Vorreiterrolle einnehmen soll und bereits bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein. Sabrina Weithmann formuliert hier folgerichtig einen ganzheitlichen Ansatz: In allen Bereichen der TH soll das Leitbild zu konkreten Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit führen, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen. (siehe Grafik)  

Einbindung von verschiedenen Interessengruppen

Das Interesse von Dozierenden, Studierenden und Kooperationspartnern am Thema Nachhaltigkeit – so Weithmann – sei groß. Ein Green Office wurde eingerichtet und soll Maßnahmen koordinieren, um möglichste viele Beteiligte zu vernetzen und in Wechselwirkungen zu bringen sowie Ideen zu managen. Studierende sollen über Seminar- und Bachelorarbeiten verstärkt an die Dimensionen der Nachhaltigkeit herangeführt werden und praktische Lösungen erarbeiten. Das Feld sei groß, meint Weithmann, denn die bisherigen Modelle von Einkauf oder Betrieb sind nicht auf die Steuerung von Nachhaltigkeitsgrößen ausgelegt.


Der Nutzen von Zertifizierungen

Zu den Aufgaben von Weithmann gehört auch, sich über die möglichen Zertifizierungen (ISO, EMAS etc.) zu informieren, ein passendes System auszusuchen und die entsprechenden Maßnahmen zu erarbeiten und zu dokumentieren. Denn klar ist, in Zukunft werden Studierende ebenso wie Dozierende und Mitarbeitende in den Hochschulen verstärkt darauf achten, wie ihre Lehranstalt bzw. ihr Arbeitgeber zu wichtigen Fragen der Nachhaltigkeit Stellung nimmt und welche Maßnahmen sie ergreift. Ein „Green Washing“ wird nicht genügen, um im Wettbewerb mit anderen Hochschulen und Arbeitgebern zu bestehen. So hat die Nachhaltigkeitsbeauftragte viel zu tun. Einen Zeitplan mit Meilensteinen hat sie bereits erarbeitet. Bereits zum Ende des Wintersemesters 2021/2022 soll der erste Nachhaltigkeitsbericht erscheinen. 

Rücknahme und Recycling von Wertstoffen aus dem Gesundheitswesen

 

Interessante Aspekte der Nachhaltigkeit brachte Dr. Sven Grieger vom Fraunhofer IWKS ins Symposium ein. Er berichtete von der Medical Product Recycling Initiative (MePRI), die einen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen leisten soll. Hintergrund der Initiative: In Kliniken und medizinischen Gesundheitszentren fallen laufend obsolet gewordene Diagnosegeräte, Instrumente, Behandlungs- und technische Hilfsmittel sowie Komponenten an, die oftmals nach nur einmaliger Benutzung entsorgt werden.

 

Große Müllmengen – gefährliche Abfälle

Für viele dieser Abfallprodukte gibt es keine (sortenreinen) Sammelbehältnisse und keine Abfalllogistik; sie werden somit keiner hochwertigen Verwertung zugeführt. Damit gehen einerseits wichtige und teure Rohstoffe verloren, andererseits gelangen auch kritische, gefährliche Abfälle in den allgemeinen Klinik-Müll. Nicht zu Unrecht fordern daher Kliniken Rücknahmesysteme, die die Hersteller oftmals nicht bereit sind anzubieten.

 

Aus Erhebungen des IWKS lässt sich eine Menge von mindestens 600-900 Tonnen metallische Klinikabfälle (u.a. Chromstahl) aus Einmalprodukten schätzen. Vermutlich liegt die Zahl noch deutlich höher (das IWKS geht von rund 2000 Tonnen aus), da die Erhebung in 2020 durchgeführt wurde, als coronabedingt viele OPs verschoben wurden.

 

Strukturen schaffen

Deutlich wurde, dass Klinken als Verbraucher hier wenig Handhabe haben, nachhaltig zu agieren, denn die Strukturen im Markt fehlen. Das IWKS möchte die Kliniken daher mit der Entwicklung eines hochwerterhaltenden Sammel- und Verwertungssystems für Einweginstrumente aus Chromstahl unterstützen. Die Initiative läuft in Kooperation mit dem IRED, Institute for Recycling, Ecology and Design, und wird derzeit mit vier Kliniken und drei Arztpraxen erprobt.

 

Gemeinsam ökologisch handeln – im Großen wie im Kleinen

 

In einem weiteren Beitrag zeigte Marion Morgner vom bio verlag auf, dass letztlich jeder etwas zur Nachhaltigkeit beitragen kann. Im Verlag, der mit den Special Interest Magazinen Schrot & Korn und Biohandel die Zielgruppe der Biolebensmittel-Käufer und -Händler bedient, wird Nachhaltigkeit von jeher großgeschrieben.  Papierverbrauch und CO2-Ausstoß konnten über die Jahre deutlich reduziert werden, die beauftragte Druckerei ist klimaneutral. Geschäftsreisen werden nur mit dem Zug gemacht. Weitere die Produktion betreffende Maßnahmen stoßen auf hohe Grenzkosten, im Grunde ist das Ende der Fahnenstange weitestgehend erreicht. Unvermeidliche Emissionen werden mit Zertifikaten im „Gold-Standard“ ausgeglichen. 

 

Auch „im Kleinen“ hat der bio verlag viele Ideen realisiert

Im Projekt Mobil.Pro.Fit. wurde ein ganzes Bündel an Maßnahmen initiiert, die dazu beitragen, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitswege sowie ihre beruflichen Fahrten klimaschonender zurücklegen. Dazu gehören unter anderem Fahrradaktionstage, Sprit-Spar-Training und Förderung des Bahnfahrens. Mit Insektenhotels und Wildbienenflächen unterstützt der Verlag die Biodiversität. Wöchentlich kommt die Biokiste und in Pandemiezeiten erhielten die MitarbeiterInnen ToGo-Behälter, um den Verpackungsmüll zu minimieren. Im sozialen Kontext punktet der Verlag damit, dass das Kapital des Unternehmens in Mitarbeiterhand liegt, eine Erfolgsbeteiligung ausgezahlt wird und MitarbeiterInnen an Entscheidungen transparent beteiligt werden.  

 

Erfolge in der Nachhaltigkeit nachvollziehbar dokumentiert 

Das Engagement wird von Zertifizierungsstellen, Wettbewerbsorganisationen aber auch von BewerberInnen und MitarbeiterInnen honoriert. Der bio verlag ist EMAS zertifiziert, hat mehrfach beste Rankings im Wettbewerb „Büro und Umwelt“ erzielt und wird auch als Arbeitgeber empfohlen (u.a. Brigitte Academy, European Business Award). Ein Gemeinwohlbericht ist in Vorbereitung. Das sind natürlich gute Voraussetzungen, um bei der hinsichtlich ethischer Werte sensiblen Zielgruppe Bioladner und -käufer gut anzukommen. „Denn das soziale und grüne Engagement muss hier nachvollziehbar und glaubwürdig belegt werden“, so Morgner.

 

Fazit

Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Die konkrete Ausgestaltung in Unternehmen und Organisationen muss immer unter Betrachtung der drei Dimensionen geschehen: ökonomisch – ökologisch – sozial. Für das Transparentmachen der Erfolge sind Systeme wie EMAS oder Gemeinwohl-Bilanz sowohl für die interne Strukturierung der Maßnahmen als auch für Kommunikation nach außen hilfreiche Tools. Im steigenden Wettbewerbsdruck werden Unternehmen und Organisationen auf Dauer nicht darum herumkommen, ihre Produkte und Prozesse hinsichtlich Nachhaltigkeit auf Herz und Nieren zu prüfen, zu optimieren und die Ergebnisse glaubwürdig zu kommunizieren.