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Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung - Fachkräftemangel versus Massenarbeitslosigkeit

 

Prof. Dr. Erich Ruppert (TH-Aschaffenburg)

 

Fragen an das Publikum

 

Müssen wir uns Gedanken darüber machen, dass Arbeitsplätze in großer Zahl durch die Digitalisierung verschwinden?

  • Niedrigqualifizierte werden als erstes massenhaft wegfallen
  • Das spielt sich alles im Rahmen der üblichen Schwankungen ab
  • Es wird für Niedrigqualifizierte eng und trotzdem gibt es einen Fachkräftemangel in der Digitalisierung
  • Menschennahe Dienstleistungen werden erhalten bleiben
  • Handwerker und Industriearbeiter werden unterschiedlich betroffen sein

Wer hat Angst um seinen eigenen Job?

  • Eine Person – ja
  • Andere – nein

Das spiegelt auch die Ergebnisse aktueller repräsentativer Befragungen wieder – 60 % der Befragten erwarten,dass mehr Arbeitsplätze wegfallen als neu entstehen aber 75 % der Befragten erwarten keine Auswirkung auf den eigenen Arbeitsplatz.

 

Blick zurück nach vorne

 

Tatsächlich gibt es eine junge technologische Entwicklung, die uns heraufordert (schon wieder) über technologiebedingte Arbeitslosigkeit zu reden. Retrospektiv kann man ziemlich genau sagen, dass z. B. ein Industrieroboter, zwei Arbeitsplätze ersetzt (Arbeitszeiten für die Roboterherstellung nicht gegengerechnet). In die Zukunft gerichtet gibt es unterschiedliche Studien mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Bei der Betrachtung von Berufen könnten insbesondere solche ersetzt werden, bei denen standardisierte Handlungen charakteristisch sind. Bei etwas detaillierterer Betrachtung nimmt man die Kerntätigkeiten in den Blick, die in einem Beruf auszuführen sind und schätzt deren Ersetzbarkeit durch digitale Technologien ein. Beachtlich ist, dass sich die Ersetzbarkeit (Substitutionspotenzial) für viele Tätigkeiten innerhalb weniger Jahre deutlich erhöht hat.

 

Richtet man nun den Blick nicht nur auf Arbeitsplatzverluste, sondern auf die gesamten Veränderungen der Arbeitsmärkte, so muss man spezifische Effekte integrieren oder gegenrechnen:

  • Änderungen in der Tätigkeitsprofilen nehmen Aufgaben weg, führen aber eventuell zu neuen Aufgaben (Transformation). Z. B. müssen einzelne Belege nicht mehr gebucht werden, aber es ist jetzt mehr Zeit für die Fehlersuche vorhanden.
  • Im Rahmen des technologischen Einsatzes entstehen ganz neue Aufgabenfelder. Z. B. der Data-Analyst.
  • Nicht jede technologisch mögliche Veränderung wird auch tatsächlich umgesetzt. Dies wird produktspezifisch, wirtschaftlich und ethisch abgewogen.
  • Durch die steigende Produktivität ergibt sich eine erhöhte Kaufkraft, die wiederum zu einer erhöhten Nachfrage von Produkten und Dienstleistungen führt. Z. B. Erhöhte Nachfrage nach digitalen Geräten.
  • Durch die neuen Technologien ergibt sich die Möglichkeit, Produktionsanteile wieder in Hochlohnländer zurück zu holen. Z. B. Adidas Schuhproduktion im 3D-Druck.

Für diese komplexen Wechselwirkungen gibt es keine wirklich realitätsnahen Szenarien und Abschätzungen. In einem insgesamt boomenden Arbeitsmarkt in Deutschland kann man retrospektiv feststellen , dass erhöhte Substitutionspotentiale in bestimmten Berufsfeldern, den insgesamt anhaltenden Trend zum Beschäftigungsaufbau, in diesen Berufen gebremst hat.

 

Weiterhin kommen qualifizierte Studien zu dem Schluss, dass in der Vergangenheit durch technologische Entwicklungen netto ein Beschäftigungsaufbau stattfand. Zukunftsstudien kommen zu einem weniger eindeutigen Bild. Fasst man sie zusammen, kann man sagen, dass es Modelle gibt, die Netto-Verluste vorhersagen und solche, die Netto-Gewinne an Arbeitsplätzen vorhersagen. Einig sind sich die Studien jedoch insofern, dass nicht viele Millionen Arbeitsplätze verschwinden werden oder neu entstehen. Wer vor diesem Hintergrund glaubt, dass alles gut ist, täuscht sich. Denn in jedem Fall muss ein erheblicher Anteil der Arbeitskräfte in bestimmten Berufsfeldern mit einer drastischen Veränderung von Tätigkeiten und Arbeitsprozessen zurechtkommen. Dies erfordert große individuelle und institutionelle Anstrengungen in der Weiterbildung.

 

In der Vergangenheit konnte man beobachten, dass die Einführung neuer Technologien durch zurückhaltende Lohnerhöhungen vor allem in mittleren Einkommensgruppen (Facharbeiter) etwas gebremst wurde. Daraus eine massive Befürchtung abzuleiten, dass die Lohnquote am BIP stark sinken wird erscheint jedoch verfrüht und überzogen. Im Ergebnis gibt es keine Hinweise, dass es zu einem massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen gibt. Unbenommen dessen wird es eine sehr vielfältige Veränderung in den Tätigkeitsprofilen und Qualifikationsanforderungen geben.

 

Von Arbeitsplätzen und von Menschen

 

Diese Entwicklung auf Seite der Arbeitsplätze, muss im Spiegel des Erwerbspersonenpotentials bewertet werden. Mit dem demographischen Wandel kann man von einer Abnahme des Erwerbspersonenpotentials in den kommenden Dekaden ausgehen. Auch unterschiedliche Szenarien der Zuwanderung können diese Entwicklung nicht aufhalten. Im Ergebnis rechnet man mit einer Abnahme der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter von ca. 10 % in 15 Jahren. Das ist weit mehr als in irgendeiner seriösen Studie an Nettoverlusten von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung vorhergesagt wird.

 

Damit wird die Arbeit in der deutschen Volkswirtschaft nicht ausgehen. Allerdings wird es zu einer Verschiebung von Qualifikationsprofilen kommen von dem tendenziell Beschäftigte mit Spezialisten- und Expertenqualifikation begünstigt werden. Der Wandel wird stetig weiter gehen und damit eine stetige Flexibilitätsanforderung an die Arbeitskräfte stellen. Diese Veränderungen können Unternehmen nicht nur durch die Einstellung von Nachwuchskräften managen. Wahrscheinlich braucht es deshalb Qualifizierungsinitiativen, die noch dazu lebensbegleitend ausgerichtet sind. Der Wandel wird stetig weiter gehen und damit eine stetige Flexibilitätsanforderung an die Arbeitskräfte stellen.