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Digitale Pause - ein Experiment

Eine Woche ohne Handy und Laptop – dafür Sonne, Meer und Nordseebrise

 

Ich bin ein Digital Immigrant. Ein was? Ein Digital Immigrant ist eine Person, die nicht mit Handy und Laptop aufgewachsen ist, sondern sich deren Benutzung erst im Erwachsenenalter aneignen musste. Entgegen vieler Bekannter im gleichen Alter bin ich aber schon sehr mit den digitalen Technologien verwachsen, sprich mein Handy und mein Laptop nutze ich privat und vor allem beruflich exzessiv. Ohne Handy gehe ich nicht aus dem Haus. Man könnte mich treffend auch als Digitalen Nomaden bezeichnen (noch so ein neudeutscher Begriff), denn egal wo ich bin, habe ich Zugriff auf meine Mails, meine What´s App-Nachrichten und meine Daten, auf der Couch, im Büro, im Urlaub, … naja unter der Dusche nicht, aber da wird sich sicher auch bald eine Lösung finden ... denn es könnten mir ja wichtige Infos entgehen.

 

Als Workaholic bin ich gefühlt rund um die Uhr im Dienst. Gab es schon eine Rückmeldung von Herrn oder Frau XY und gibt es eventuell neue Anfragen? Was steht in den zahlreichen fachbezogenen Newslettern meines Metiers, die ich abonniert habe und rege zu lesen pflege? Das digitale Rad dreht sich permanent und irgendwie bin ich wie der Hamster, der es antreibt. Die Pixel vor den Augen verschwimmen und ich bin oft wie gerädert.

Daher habe ich für unseren kurzen Familienurlaub beschlossen, mal auf das ganze Digitale zu verzichten. Handy und Laptop bleiben zuhause, eine Entscheidung, die mir nicht leichtfällt, doch vielleicht kann ich daraus ja auch irgendwas Positives für mich mitnehmen?

 

Die Vorbereitungen

 

Das Experiment will natürlich gut vorbereitet sein. Zunächst sende ich an meine wichtigsten Kontakte drei Tage vorher eine E-Mail, dass ich mal ein paar Tage nicht erreichbar sein werde. Die Resonanz darauf ist überwältigend. Ganz viele wünschen mir gute Erholung und eine tolle Zeit und bedanken sich sogar für die Info. Das ist das erste AHA-Erlebnis, denn auf einen anonymen Abwesenheitsassistenten, der freilich erst aktiv wird, wenn ich ja schon weg bin, hat noch niemand so herzlich geantwortet.

Der nächste Schritt der Vorbereitung betrifft die Aktivitäten-Planung der Urlaubstage. Ausflugziele in der Region? Vor Ort schnell mal googeln, fällt wohl weg, aber vorher zuhause was raussuchen und ausdrucken, kommt für mich auch nicht in Frage. Dafür fehlt mir die Zeit und die Muße. Das auf meinen Mann zu delegieren (auch vor Ort, er nimmt schließlich sein Handy mit), ist auch keine gute Idee. Er ist da nicht so web-affin. Naja, man kann ja auch in der Tourist-Info fragen. Oder uns einfach inspirieren lassen.

Da das Business ja doch irgendwie weiterlaufen muss, drucke ich mir für ein anstehendes Projekt ein paar Unterlagen aus, auf denen ich im Urlaub gedenke, herumzukauen. Papier ist geduldig, denke ich mir, und es wird keine Ablenkung durch eingehende Mails oder so was geben. Etwas nachschlagen, kann ich aber auch nicht! Wir werden sehen, wie weit ich im Projekt vorankomme. Der Wille ist zumindest da.

Urlaubsfotos auf dem Handy fallen auch flach. Die alte Kamera ist irgendwo in den Schränken verschollen und ich finde sie irgendwie nicht. Mist … ach egal, wer braucht schon Fotos, werden eh nie mehr angeschaut. Und eine „Live-Reportage“ per Facebook, What´s App oder Instagram, wo ich mich gerade herumtreibe, ist eh nicht mein Ding. Privat nutze ich diese Medien sehr zurückhaltend.

 

Erster Tag

 

Ab jetzt muss ich mich auf mein Gedächtnis und meine handschriftlichen Notizen verlassen. Handschriftlich? Cool – ich kann meine Schrift kaum lesen, da ich in den letzten Jahren fast alles auf Laptop oder Handy eintippe. Also dann doch das Gedächtnis – vielleicht besser so, denn die rudimentären Notizen zeigen auch nicht meine Gefühlswelt auf. Da sind die Erinnerungen schon besser geeignet. Trotzdem habe ich ein kleines Notizbuch eingepackt, um gewappnet zu sein, wenn mir spontan was einfällt, was ich notiere möchte. Die Notiz-App auf dem Handy finde ich eh nicht so toll, sage ich mir, um die Entscheidung, das Handy zuhause gelassen zu haben, zu rechtfertigen.

Praktisch – das Navi ist fest im Auto eingebaut. Da ich in Ostfriesland noch nie Urlaub gemacht habe, brauche ich Orientierung. Bis hinter Dortmund schaffe ich es ohne Ansage, aber dann …? Physische Straßenkarte habe ich keine mehr. Das fette Ding (Europa-Straßenatlas) habe ich vor 2 Jahren entsorgt. Das Navi im Handy nutze ich ohnehin nie, also „passt scho!“ Auch wenn die im Auto-Navi verfügbare Karte nicht an allen Stellen aktuell ist.

 

Zweiter Tag

 

Als wir zum Frühstück einkaufen gehen, scheint die Sonne, doch gleich danach ziehen Wolken auf und ich bin unschlüssig, was ich für den Tagesausflug anziehen soll. Wetter-App Fehlanzeige, denn ich habe ja kein Handy mit. Ich entscheide mich dann für einen Zwiebellook, neben T-Shirt auch eine Vliesjacke und in den Rucksack ein Regencape. Meine Family geht ohne weitere Jacken aus dem Haus. Im Laufe des Tages werde ich feststellen, dass ich das Regencape zwar nicht gebraucht habe, aber der Vlies durchaus meinem persönlichen Wärmeempfinden zugutegekommen ist.

Als wir am Landwirtschaftsmuseum stehen (ein Tipp aus der Gästemappe der Ferienwohnung), ist dort gerade Mittagspause. Bis 14:00 Uhr. Wieviel Uhr ist es denn jetzt? Da ich keine Armbanduhr trage, - schließlich bin ich den ganzen Tag von digitalen Uhren vom Auto, über Telefon bis hin zum Handy umgeben – habe ich keine Ahnung, wie lange ich wohl noch auf die Öffnung warten muss. Ach doch, wir sind vor ein paar Minuten an der Apotheke vorbeigelaufen und dort war eine Anzeige: 13:44 Uhr – muss also bald wieder aufmachen, das Museum.

 

Dritter Tag

 

Allmählich werde ich etwas unruhig. Sind vielleicht dringende Nachrichten eingegangen? Mein Mann scrollt sich regelmäßig durch seine Posteingänge und allmählich bin ich ein wenig neidisch. War es die richtige Entscheidung, das Handy zuhause zu lassen? Und wenn abends nach dem Abendessen sowohl Tochter als auch Ehemann gebannt in ihre digitalen Kästchen glotzen, fühle ich mich ein wenig ausgeschlossen. Naja, ich hole später mein Kindle raus und lese noch ein wenig.

 

Vierter Tag

 

Das Lesen von Newslettern und Nachrichten auf dem Rechner fehlt mir schon. Also hole ich mir eine regionale Tageszeitung und schmökere darin rum. Schließlich will ich wissen, was alles in der Welt so passiert. Das ist super, denn die Zeitung weiß nicht, was mich interessiert und bietet ein viel breiteres Spektrum an als das, was die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz mir auf den Nachrichtenseiten vorgeben. Diese glauben aus meinem Klickverhalten herauslesen zu können, was mich interessiert und bieten mir inzwischen immer die gleichen Genres an. Ich beschließe für zuhause ab sofort die ZEIT zu abonnieren.

 

Fünfter Tag

 

Am Pilsumer Leuchtturm ist es echt unglaublich schön. Meine Tochter macht ein paar Fotos von und will sie als Round Snap verschicken. Doch gibt es keine Internet-Verbindung: Am westlichsten Schnipsel Deutschlands – abgelegen, idyllisch und nur das Meeresrauschen zu hören - will einfach kein 3 oder mehr G reinkommen. Sie flucht, aber ich grinse nur. Muss sie eben warten, bis wir auf dem Zimmer wieder WLAN haben.

 

Sechster Tag

 

Welches Datum haben wir eigentlich heute? Und welcher Wochentag? Egal, es ist der letzte Urlaubtag und ich will ihn voll auskosten. Die Sonne scheint, und inzwischen habe ich auch ein gutes Gefühl dafür gewonnen, welche Kleidung dem Wetter angemessen ist. Als wir am Nachmittag in einem kleinen Insel-Café sitzen, beobachte ich die Leute, wie sie wie wild am Chatten, Snappen und Telefonieren sind. Da bin ich froh, dass ich mir meine Freiheiten genommen habe und mir jetzt auch keine Gedanken mehr mache, was ich auf dem kleinen Terror-Ding die letzten Tage verpasst haben könnte.

 

Fazit

 

Mit ein wenig Vorbereitung und dem Willen zu improvisieren und gelegentlich den eigenen (!) gesunden Menschenverstand einzuschalten, kann man durchaus an der Nordsee und auch anderswo ohne Handy überleben. Und wenn sich manche wundern, warum man nicht auf Mails und Anrufe antwortet und auch nichts postet, dann könnte die passende Antwort lauten: „Ich hatte Urlaub. Und Urlaub kommt von erlauben und ich habe mir erlaubt, mal offline zu sein.“ Eine digitale Pause kann ich jedenfalls nur jedem empfehlen. Es erweitert den Horizont und führt zu neuen Gedanken und Ideen.

 

Ein Beitrag von Katja Leimeister