Vortrag vom 24. November 2025 von Dr. Martin Kempen, Theologe und Organisationsberater, Ellwangen (Jagst)
Zusammenfassung erstellt von Meike Schumacher
Veränderungsprozesse scheitern häufig – oft ist von rund 70 Prozent die Rede. Für Dr. Martin Kempen ist dies jedoch weniger eine ernüchternde Feststellung als ein Anlass, genauer zu untersuchen, was erfolgreiche Transformation tatsächlich benötigt. Der Befund aus Forschung und Praxis ist eindeutig: Unternehmen, die gleichermaßen auf Leistung und auf Menschen setzen, sind langfristig erfolgreicher. Transformation gelingt dort, wo Human Resources und Change-Management nicht getrennt voneinander agieren, sondern sich wie eine Doppelhelix gegenseitig stützen und verstärken.
Kontext: Megatrends und der steigende Handlungsdruck
Kempen rahmt seine Überlegungen durch drei zentrale gesellschaftliche Megatrends, die Organisationen nachhaltig verändern. Der demografische Wandel führt zu einem deutlichen Rückgang an Fachkräften und zu vielfältigeren Lebensläufen; lebenslanges Lernen und Quereinstiege werden damit zur Normalität. Im „Future of Work“ prägt insbesondere die Künstliche Intelligenz den Wandel: Sie ersetzt weniger ganze Berufe als vielmehr Aufgaben, wodurch sich Kompetenzanforderungen dynamisch verschieben. Zugleich verändern Identitätsdynamiken die Bindekraft von Institutionen – sichtbar etwa bei Kirchen, aber ebenso in Unternehmen, in denen traditionelle Loyalitätsmuster an Bedeutung verlieren.
Vor diesem Hintergrund wird Transformation zur Daueraufgabe. Klassische Change-Projekte mit klar definiertem Start und Zielpunkt greifen zu kurz. Organisationen bewegen sich in einem Umfeld, das volatiler und brüchiger ist als noch vor wenigen Jahren. Gerade deshalb gewinnt die Frage an Bedeutung, wie Menschen in solchen Umfeldern wirksam arbeiten können.
Mindset: Transformation als kontinuierlicher Lernprozess
Kempen verweist in diesem Zusammenhang auf die Grenzen etablierter Erklärmodelle wie VUCA oder BANI, insbesondere dort, wo Angst als bestimmendes Moment auftaucht. Angst, so betont er, fördert nicht Anpassungsfähigkeit, sondern lähmt: Sie senkt Leistung, reduziert Kooperation und verhindert Innovation. Dem setzt er das Konzept der psychologischen Sicherheit entgegen – das subjektive Gefühl, Ideen äußern zu dürfen, Fehler ansprechen zu können und im Team Risiken eingehen zu dürfen. Erst unter solchen Bedingungen wird organisationale Lernfähigkeit möglich.
Transformation begreift Kempen daher als fortlaufenden Lernprozess, nicht als linearen Weg von A nach B. Sie entsteht im gemeinsamen Erkunden neuer Lösungen und im wiederholten Nachjustieren. Die Frage ist nicht mehr: Wie planen wir eine Veränderung? Sondern: Wie schaffen wir Räume, in denen Menschen kontinuierlich lernen und gestalten können?
HR und Change als Doppelhelix
Das von Kempen eingeführte Bild der Doppelhelix verdeutlicht, dass HR und Change Management nur in enger Verzahnung ihre Wirkung entfalten. Auf der HR-Seite verlagert sich der Fokus von starren Stellenprofilen zu Rollen, die Verantwortung, Beitrag und Gestaltungsspielraum definieren. Führung bedeutet, Orientierung zu geben, psychologische Sicherheit herzustellen und Beteiligung zu ermöglichen. Auch das Kompetenzverständnis wandelt sich: Fachwissen bleibt relevant, verliert jedoch angesichts kurzer Halbwertszeiten an Dominanz. Zentrale Zukunftskompetenzen sind Lernagilität, Resilienz, Veränderungsfähigkeit und insbesondere AI Literacy.
Die Organisationskultur wird dabei nicht über Leitbilder bestimmt, sondern über gelebte Praxis – über Anreizsysteme, Karrierewege oder symbolische Artefakte, die signalisieren, welches Verhalten tatsächlich erwünscht ist. Parallel dazu richtet der Change-Strang den Blick auf strategische Klarheit: Transformation benötigt ein positives Zukunftsbild, das Orientierung gibt und zugleich festlegt, welche Aktivitäten nicht weitergeführt werden sollen. Strukturen und Prozesse müssen diese Ausrichtung unterstützen, Silos abbauen und Zusammenarbeit erleichtern. Kommunikation ist dabei stets dialogisch. Für Kempen ist die Beteiligung Betroffener ein zentraler Erfolgsfaktor, da sie Verantwortung und Akzeptanz erzeugt.
Datenbasiertes Change: People Analytics als strategischer Hebel
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags liegt auf der Frage, wie Transformation fundiert gesteuert werden kann. Obwohl Studien belegen, dass datenbasiertes Vorgehen den Erfolg von Veränderungsprozessen deutlich erhöht, nutzen bislang nur wenige Organisationen dieses Potenzial. Kempen betont, dass viele Unternehmen nicht einmal über eine systematische Übersicht zu den vorhandenen Kompetenzen verfügen – eine zentrale Voraussetzung für strategische Personal- und Organisationsentwicklung.
People Analytics stellt hierfür einen methodischen Dreischritt bereit: zunächst die Analyse des Status quo, anschließend die Prognose wahrscheinlicher Entwicklungen und schließlich die Ableitung konkreter Maßnahmen. Erst die Verbindung dieser Ebenen ermöglicht es HR und Change, gezielt Reskilling-Programme zu entwickeln, Rollen anzupassen oder strukturelle Veränderungen vorzubereiten. Daten werden damit zu einem verbindenden Element der Doppelhelix, das Entscheidungen nachvollziehbarer und zukunftsfähiger macht.
Szenarien: Orientierung im Ungewissen
Da die Zukunft nicht prognostizierbar ist, arbeitet Kempen mit Szenarien, die er als „gegenwärtige Zukünfte“ bezeichnet. Aus Daten, Trends und Erfahrungswissen entstehen mehrere plausible Entwicklungspfade, die helfen, heutige Entscheidungen zu fundieren. Ein Beispiel bietet das Bistum Mainz, das ein Zukunftsbild entwickelt hat, in dem weniger auf klare Zuständigkeiten gesetzt wird, sondern auf offene, gemeinschaftlich gestaltbare Räume. Szenarien strukturieren damit die Vielzahl möglicher Zukünfte und machen erkennbar, welche Entwicklungen gewünscht, wahrscheinlich oder zu vermeiden sind.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der künstlichen Intelligenz: Kempen beschreibt drei mögliche Entwicklungspfade – stagnierende Entwicklung, KI als Co-Pilot oder eine starke KI – und zeigt, welche Indikatoren jeweils darauf hindeuten könnten. Unabhängig davon gewinnen bestimmte Kompetenzen in jedem Szenario an Bedeutung, etwa empathische Führung, ethische Urteilskraft und die Fähigkeit, KI reflektiert einzusetzen. Szenarien sind somit kein Instrument der Vorhersage, sondern der Vorbereitung: Sie eröffnen Handlungsspielräume im Ungewissen und ermöglichen es, heute Kompetenzen zu stärken, die morgen unverzichtbar sein werden.
Auftrag: Heute handeln – für die Kompetenzen von morgen
Zum Abschluss richtet Kempen den Blick zurück auf die einzelnen Akteurinnen und Akteure in Organisationen. Ausgangspunkt ist die Frage, welche Kompetenzen für die eigene berufliche Zukunft besonders wichtig sein werden. Entscheidend sei, diese Fähigkeiten nicht erst dann zu entwickeln, wenn der Bedarf akut wird, sondern frühzeitig – im Sinne eines aktiven Selbst- und Organisationslernens.
Damit unterstreicht der Vortrag seine Grundbotschaft: Erfolgreiche Transformation entsteht, wenn HR, Change und Datenbasis zusammenwirken, wenn Menschen angstfrei lernen können und wenn Organisationen den Mut aufbringen, Zukunft nicht nur zu erwarten, sondern aktiv zu gestalten.

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