Vortrag vom 01. Dezember 2025 von Prof. Dr. Simeon Mücke, TH Aschaffenburg
Zusammenfassung erstellt von Katja Leimeister
Prof. Dr. Simeon Mücke eröffnet seinen Vortrag mit einem Zitat, das Kaiser Wilhelm II. zugeschrieben wird: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich setze auf das Pferd.“ Dieses Beispiel macht deutlich: Skepsis gegenüber neuen Technologien ist kein neues Phänomen – und es prägt auch heute noch die Diskussion rund um die digitale Transformation.
Zu Beginn verdeutlicht Mücke, warum deutsche Unternehmen bei der Digitalisierung noch viel aufzuholen haben. Während große KI-Modelle vor allem in den USA und China entstehen, spielt Deutschland international nur eine Nebenrolle. Aktuell nutzen lediglich rund 20 Prozent der deutschen Unternehmen KI.[1] Der SEED-Index bestätigt diesen Rückstand: Deutsche Unternehmen schöpfen derzeit nur etwa die Hälfte ihres Digitalisierungspotenzials aus.[2] Gleichzeitig beschleunigt sich die weltweite technologische Entwicklung, während Transformationsprozesse in Deutschland vergleichsweise langsam voranschreiten.
Doch digitale Transformation bedeutet weit mehr als den Einsatz neuer Technologien. Ihr Wert entsteht erst durch die Menschen, die diese Technologien anwenden. Entscheidend ist daher das Verständnis dafür, warum Mitarbeitende digitale Neuerungen akzeptieren – oder ihnen skeptisch begegnen.
Was Unternehmen wissen sollten: Zentrale Erkenntnisse der Technologieakzeptanzforschung
Mücke gibt einen Überblick über zentrale Modelle der Technologieakzeptanzforschung. Das bekannteste ist das Technologieakzeptanzmodell (TAM) von Davis (1989), später erweitert zu TAM2 und TAM3. Im Zentrum stehen zwei Wahrnehmungen: die Nützlichkeit und die Benutzerfreundlichkeit einer Technologie. Sie bestimmen sowohl die Nutzungsabsicht als auch die tatsächliche Nutzung einer Technologie. Venkatesh und Kollegen (2003) integrierten später verschiedene Modelle in die Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT), die ebenfalls weiterentwickelt wurde (UTAUT2).
Obwohl sich diese Modelle ähneln, unterscheiden sie sich in den berücksichtigten Einflussfaktoren. Eine Meta-Analyse von Blut et al. (2022), basierend auf Daten von rund 700.000 Nutzenden aus über 1.900 Stichproben, identifiziert mehr als 70 Faktoren, die Technologieakzeptanz beeinflussen können. Dabei ergab ihre Analyse, dass die Nutzungsintention und die tatsächliche Nutzung einer Technologie maßgeblich von zwei Faktoren bestimmt wird:
- Routine – die Nutzung erfolgt automatisch, ohne hohen mentalen Aufwand.
- Kompatibilität – die Technologie passt zu Aufgaben, Arbeitsstil und Arbeitsumfeld.
Das finale Modell von Blut et al. (2022) erklärt rund 75 Prozent der Nutzungsintention und fast 50 Prozent der tatsächlichen Nutzung einer Technologie – ein außergewöhnlich starker Wert. Damit liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation weniger in der technischen Optimierung, sondern in der Einbettung der Technologie in konkrete Arbeitspraktiken. Doch wie genau kann das gelingen?
Was Unternehmen tun sollten: Maßnahmen für echte Akzeptanz
Aus der Forschung leitet Mücke konkrete Handlungsempfehlungen ab, die sich unmittelbar auf digitale Transformationsprojekte übertragen lassen:
- Bedürfnisse der Mitarbeitenden frühzeitig einbeziehen: Die meisten Projekte scheitern nicht an Technik, sondern daran, dass sie an den realen Aufgaben, Arbeitsstilen und Kontexten der Nutzenden vorbeigeplant werden. Arbeitssystemanalysen, Workshops oder Shadowing helfen, Anforderungen realistisch abzubilden. Diese Anforderungen gilt es von Beginn an bei der Entwicklung von neuen Technologien zu berücksichtigen.
- Technologie erst stabil einführen: Negativerfahrungen in frühen Projektphasen prägen die Wahrnehmung langfristig. Wird ein System zu früh „ausgerollt“, verlieren Mitarbeitende schnell Vertrauen – und gewinnen es nur schwer zurück.
- Routine durch Praxiseinbettung fördern: Routinen entstehen durch praktische Anwendung im Arbeitsumfeld – nicht durch einmalige Schulungen. Entscheidend sind Training on the job, Zeit zur Gewöhnung und realistisches Erwartungsmanagement.
- Kompatibilität aktiv gestalten: Kompatibilität bedeutet nicht nur funktionale Passung, sondern auch Passung zu Denkweisen, Abläufen und physischen Arbeitsbedingungen. Ein System muss so gestaltet sein, dass es die bestehende Tätigkeit nicht erschwert, sondern erleichtert.
- Peer Learning und Key User einsetzen: Positiver sozialer Einfluss ist ein unterschätzter Hebel: Erfahrene, glaubwürdige Kolleginnen und Kollegen erhöhen die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Key User fungieren zugleich als Multiplikatoren und als Schnittstelle zur Weiterentwicklung.
- Positive Nutzungserfahrungen sichtbar machen: Erfolgsgeschichten aus der Belegschaft reduzieren Unsicherheiten und stärken Identifikation.
- Anreiz- und Feedbacksysteme etablieren: Belohnungssysteme – materiell oder immateriell – können die Bereitschaft zur aktiven Nutzung steigern. Genauso wichtig ist ein transparentes Feedbacksystem, das Verbesserungen ermöglicht und zeigt: Rückmeldungen werden ernst genommen.
Fazit: Technik schafft Möglichkeiten – Akzeptanz schafft Transformation
Ein zentrales Schlussplädoyer Mückes lautet: Digitalisierung ist immer auch ein organisationaler Veränderungsprozess. Digitalisierungsprojekte sollten deshalb mit einer digitalen Transformationsstrategie einhergehen, die die Veränderung aus Sicht der Mitarbeitenden mitdenkt. Hilfreich kann hier die Implementierung von Digital Transformation Managern sein. Diese Rolle verbindet technische Expertise mit strategischem Denken und psychologischer Kompetenz, um Digitalisierungsprojekte erfolgreich umzusetzen.
Die zentrale Botschaft des Vortrags lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
1. Digitalisierung ist kein rein technisches Projekt. Die Potenziale digitaler Technologie werden erst durch die Akzeptanz und Nutzung der Mitarbeitenden realisiert.
2. Routine und Kompatibilität sind die entscheidenden Hebel. Sie bestimmen, ob Mitarbeitende neue Systeme in ihren Arbeitsalltag integrieren – oder sie umgehen.
3. Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte folgen einem menschenzentrierten Design. Beteiligung, Transparenz, Praxistauglichkeit und kontinuierliche Begleitung sind unerlässlich.
Damit zeigt Mücke eindrücklich: Der Erfolg digitaler Transformationen entsteht erst, wenn Technik und Mensch zusammen gedacht werden. Denn: Technik schafft Möglichkeiten, doch erst die Akzeptanz der Mitarbeitenden bewirkt echte Transformation.
[1] EU Commission (2025) DESI 2024 Dashboard for the Digital Decade
[2] SEED Index Studie zum Download unter https://www.vodafone-institut.de/publikation/seed-index-2023/
