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Ringvorlesung: Verantwortung als Leitprinzip der Arbeit der Gemeinsamen Ethikkommission der Hochschulen Bayerns (GEHBa)

Ein Blogbeitrag von Katja Leimeister zum Vortrag von Prof. Dr. Karsten Weber, OTH Regensburg

 

Als Professor für Technikfolgenabschätzung für KI-gestützte Mobilität sowie Ko-Leiter des Instituts für Sozialforschung und Technologiefolgenabschätzung an der OTH Regensburg ist Prof. Dr. Karsten Weber ehrenamtlich einer der drei SprecherInnen der Gemeinsamen Ethikkommission der Hochschulen Bayerns (GEHBa). Der Philosoph ist in seiner Professorentätigkeit unter anderem mit den Themen KI im Gesundheitswesen und KI in der (autonomen) Mobilität beschäftigt.

 

In seinem Vortrag am 23. Oktober 2023 im Rahmen der Ringvorlesung „Verantwortung“ sprach Weber darüber, in welchen Bereichen Ethik in der Forschung eine Rolle spielt, über die Verantwortung der Forschenden und warum es Ethikkommissionen wie die GEHBa bedarf.

 

Ethik in der Forschung

 

Dass durch den Einsatz neuer Medikamente oder OP-Methoden Menschen geschädigt werden können, versteht im Grunde jede/r. Das heißt, dass gerade in der medizinischen Forschung das Einholen eines Ethikvotums von zentraler Bedeutung ist. Aber auch alle anderen direkt oder indirekt am und mit dem Menschen Forschenden sollten ethische Grundsätze bei ihren Forschungsvorhaben anlegen, um den Menschen nicht nur als Forschungsobjekt zu degradieren, sondern deren berechtigte Interessen und das Recht auf Unversehrtheit respektieren. In der medizinischen Forschung war in der Antike durch den Hippokratischen Eid ein wesentlicher Grundstein dafür gelegt. Er gilt als erste Formulierung einer ärztlichen Ethik. Heutzutage wird er durch Kodizes wie der Deklaration von Helsinki der World Medical Association konkretisiert. (Der genaue Wortlaut der Deklaration in der aktuellen Fassung[1] kann unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/International/Deklaration_von_Helsinki_2013_20190905.pdf nachgelesen werden.)

 

Sowohl Sozialwissenschaften und Psychologie als auch Pflege- sowie Gesundheitswissenschaften arbeiten mit und am Menschen und geben sich in Fachverbänden ebenfalls eigene Kodizes. Forschende in den Ingenieurwissenschaften sind ebenfalls angehalten, negative Folgen für betroffene Menschen zu minimieren. Das betrifft zum Beispiel Mensch-Maschine-Interaktionen, KI-Modelle, autonomes Fahren und viele andere technologiegetriebene Entwicklungen.

 

Allen Fachbereichen gemeinsam ist, dass Probandinnen und Probanden an Studien stets nur und unter allen Umständen informiert und freiwillig teilnehmen dürfen. Gleichsam gilt der Grundsatz, dass bevor am Menschen experimentiert wird, möglichst alle andere Recherche- und Forschungsmöglichkeiten genutzt werden (Auswertung von Sekundärliteratur, Versuche mit Zellkulturen, Tieren etc.) und der Mensch erst als Testperson infrage kommt, wenn die Risiken abschätzbar und möglichst gering sind.

 

Der Mensch als Versuchskaninchen

 

Besonderes Augenmerk ist auf vulnerable Gruppen zu legen. Sind Menschen psychisch oder physisch abhängig, geistig oder körperlich eingeschränkt oder handelt es sich bei den ProbandInnen um Kinder oder Jugendliche ist noch genauer auf die Folgen für die Betroffenen zu schauen. Gerade diese vulnerablen Gruppen sind mitunter überfordert mit der Entscheidung, ob sie an einer Studie teilzunehmen möchten, oder rechtlich gar nicht in der Lage, solche Entscheidungen selbst zu treffen

 

Warum sind Ethikkommissionen nötig?

 

Nicht nur das Dritte Reich hat gezeigt, wozu Menschen fähig sind. Doch gerade diese Zeit kann als ein Mahnmal für Forschende dienen: Verletzungen an Körper und Geist und selbst der Tod wurden billigend in Kauf genommen und teilweise gezielt herbeigeführt. KZ-Häftlinge oder Menschen mit Behinderungen wurden als minderwertig betrachtet und als Versuchsobjekte missbraucht.

 

Die NS-Zeit ist zwar ein drastisches Beispiel für fürchterliche Verbrechen von ÄrztInnen, die mit heutigem Wissen und Gewissen moralisch verurteilt und die vielmals mit den damaligen Umständen entschuldigt werden (häufig unter dem Stichwort des Befehlsnotstands, schließlich hätten die ÄrztInnen keine Wahl gehabt und sich nur dem Regime und dem Vorgesetzen gebeugt). Doch sind bei den Forschungen auch Schäden und Verletzungen an ProbandInnen von geringer Tragweite weiterstgehend zu vermeiden.

 

Wie hat sich das danach entwickelt?

 

Als Reaktion auf diese schweren Verbrechen im Dritten Reich wurden eine Reihe von ÄrztInnen in den sogenannten Nürnberger Ärzteprozessen öffentlich angeklagt. Nicht alle konnten als Täter überführt werden. Wer als Mitläufer eingestuft wurde, wurde freigesprochen. Einige wie Josef Mengele sind beizeiten ins Ausland geflohen, andere wurden als unentbehrliche Experten von den Siegermächten eingestuft, ihre Taten wurden verschleiert. Mit diesem Persilschein stand ihnen eine wissenschaftliche Karriere in den USA oder Russland offen. Der prominenteste Vertreter davon war vermutlich Wernher von Braun, der wohl eine Mitverantwortung für den Tod von tausenden ZwangsarbeiterInnen trägt und später in den USA zu einem der führenden Raketenforscher bei der NASA aufstieg.

 

Auch wenn viele der damaligen Täter straffrei davongekommen sind, war nach Ende des zweiten Weltkriegs die Sensibilität geschaffen, dass so etwas nicht wieder vorkommen dürfe. Ein erster Ansatz war der sogenannte Nürnberger Kodex, der 1947 im Rahmen der Urteilsverkündung der Nürnberger Ärzteprozesse formuliert wurde. Ihm folgten 1964 die Deklaration von Helsinki der World Medical Association, die bis heute als Goldstandard für ethische Grundsätze in der medizinischen Forschung am Menschen gilt und die immer wieder erweitert und ergänzt wird.

 

Auch wenn verbindliche Kodizes für viele Fachbereiche inzwischen formuliert sind, bedeutet dies nicht unbedingt, dass alle Forschenden sich daran halten; eine gewisse Dunkelziffer ist sicher vorhanden. In dem Buch „Plutonium Files“ von Eileen Welsome wurden 1999 eine Reihe von fragwürdigen und menschenverachtenden Versuchen aufgedeckt. So bleibt eine gewisse Skepsis, ob immer nach ethischen Grundsätzen geforscht wird.

 

Wer hat die Verantwortung?

 

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ So lautet Artikel 5 III des Grundgesetzes (GG). Doch mit der Einhaltung der ethischen Grundsätze wird diese Freiheit eingeschränkt. Für das Forschungsdesign ist immer die/der Forschende selbst zuständig und damit auch persönlich verantwortlich. Er/sie kann die Verantwortung nicht auf die Organisation abwälzen und er/sie darf sich nicht auf einen Befehlsnotstand berufen.

 

Doch wer prüft, ob die Forschenden ihrer Verantwortung nachkommen? Hier kommen die Ethikkommissionen ins Spiel. Sie unterstützen und überwachen und gegebenenfalls können sie auch sanktionieren.

 

Warum ein Ethikvotum?

 

Der Webseite der GEHBa ist zu entnehmen: „Forschung am und mit Menschen bedarf der Begutachtung und Bewertung ethischer und rechtlicher Aspekte durch eine Ethikkommission.“ Ähnlich formuliert es auch die Deutsche Forschungsgesellschaft. Es handelt sich also nicht um ein „kann“, sondern ein „muss“. Darunter fallen auch Forschungen, die die Auswertung personenbezogener bzw. personenbeziehbarer Daten beinhaltet (Datenschutz).

 

Schauen wir aber besser auf die positiven Effekte des Ethikvotums: Mit dem Votum wird für den Forschenden klarer, dass er/sie das Forschungsdesign sauber und nach ethischen Standards aufgesetzt hat. Er/sie kann also reinen Gewissens an die Sache herangehen. Daneben gibt es auch praktische Gründe, ein Ethikvotum einzuholen:

 

· Für die Veröffentlichung der Ergebnisse in Fachzeitschriften fordern diese oft den Nachweis eines Ethikvotums.

· Auch Auftraggeber und Finanziers von Forschungen verlangen ein Ethikvotum, da diese die Verwendung der Ressourcen vor ihren Stakeholdern verargumentieren müssen.

· Auch kann die Ethikkommission aufgrund der breit gefächerten Expertise frühzeitig Gefahren erkennen, die der/dem Forschenden zunächst nicht in den Sinn kommen. Denkt man beispielsweise an die Zweckentfremdung von harmlosen Entwicklungen für beispielsweise einen militärischen Einsatz (Dual Use), kann ein Hinweis einer Ethikkommission eventuell ganze Personengruppen vor indirekten Auswirkungen bewahren.

 

GEHBa – die Ethikkommission der bayerischen Hochschulen

 

Die Hochschulen in Bayern sind mittlerweile immer mehr dazu aufgefordert zu forschen. Mittel für Forschungszwecke werden bspw. von Fördereinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Stiftungen wie der Volkswagen-Stiftung, der EU sowie verschiedenen Bundes- und Landesministerien als auch von Unternehmen in Form von Drittmitteln zur Verfügung gestellt. Gleichwohl sind die Strukturen in den Hochschulen nicht ausreichend mitgewachsen und gerade bei kleineren Hochschulen könnte eine eigene Ethikkommission aufgrund fehlender personeller Ressourcen nur unter großen Schwierigkeiten gegründet werden. Daher ist die Idee einer gemeinsamen Ethikkommission gereift und seit 2019 bearbeiten die ehrenamtlichen Mitglieder der GEHBa Ethikanträge der bayerischen Hochschulen und einiger angeschlossener Forschungseinrichtungen. Der Vorteil dieser gemeinsamen Arbeit besteht unter anderem darin, dass vielfältigste, interdisziplinäre Kompetenzen durch die Mitglieder eingebracht werden, die eine einzelne Hochschule nur schwer darstellen könnte. Dazu kommt in bestimmten Fällen die Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung der DFG und Leopoldina.

 

Die Anträge der Forschenden werden unparteiisch und nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung begutachtet. Nur so kann ein Vertrauen zu den Forschenden aufgebaut werden. Neben den Interessen der Forschenden werden auch andere Anspruchsgruppen berücksichtigt: In erster Linie natürlich die Interessen potenzieller ProbandInnen (Schutz von Individuen), aber auch die Interessen von Geldgebern/Finanziers (es soll möglichst keine Doppelforschung durchgeführt werden). Daneben werden unter anderem auch Interessen von Unternehmen oder von BürgerInnen etc. eine Rolle spielen.

 

 

[1] Zuletzt online abgerufen am 30.10.2023

 

Die GEHBa

Die GEHBa - ExpertInnen aus diversen Fachbereichen, z.B. Ethik, Pflege, Informatik, Elektronik, KI / Mensch-Maschine-Interaktion, Biologie, Tierhaltung/-schutz, Medizin, Gesundheitsmanagement, Recht, Sozialforschung, etc.
Die GEHBa - ExpertInnen aus diversen Fachbereichen, z.B. Ethik, Pflege, Informatik, Elektronik, KI / Mensch-Maschine-Interaktion, Biologie, Tierhaltung/-schutz, Medizin, Gesundheitsmanagement, Recht, Sozialforschung, etc.