Ein Blogbeitrag von Katja Leimeister zum Vortrag von Dr. Andreas Wiese, Vorsitzender der Vereinigung der Rotwildjäger im Odenwald
Am 27. November stand das Thema „Verantwortung für Wildtiere und Forst“ im Mittelpunkt der Ringvorlesung Verantwortung. Dr. Andreas Wiese berichtete anschaulich am Beispiel des Odenwalds, welche Herausforderungen in diesem Bereich zu meistern sind und warum gerade beim Rotwild Handlungsbedarf von höchster Stelle geboten ist.
Über die deutschen Wälder
Deutschland ist ein gut bewaldetes Gebiet. 32 % der Fläche gelten als Wald. Der Wald übernimmt dabei verschiedene Funktionen: Er ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen, schützt vor Erosion und Lawinen und leistet als Lärm- und Staubfilter sowie als CO2-Speicher einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Er speichert Trinkwasser und dient als Erholungsraum. Das gewonnene Holz dient als umweltfreundlicher und CO2-neutraler Rohstoff und Energieträger und sorgt für Einkommen in den Forstbetrieben.
Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen regeln den Umgang mit dem Wald und den darin lebenden Tieren und Pflanzen: So gilt es das Bundeswaldgesetz, Landeswaldgesetze, Bundesnaturschutzgesetz und die EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) zu beachten.
Der Großteil des Waldes in Deutschland gehört privaten Eigentümern, so auch im Odenwald. Die Besonderheit: Er erstreckt sich über drei Bundesländer – Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Damit sind auch unterschiedliche Gesetze und Verordnungen gültig.
Mensch und Wald
Neben den Eigentümern am Wald (Privatleute, Staat, Land oder Kommune) spielen viele weitere Interessengruppen eine Rolle: Staatliche Verwaltungen und fortwirtschaftliche Betriebe, Naturschutz, Umweltschutz- und Tierschutzverbände, VertreterInnen von Tourismus und Sport (Wandern, Mountainbiking), JägerInnen … Dass deren Interessen gegenläufig sein können, ist nachvollziehbar. Während Mountainbiker am liebsten ungehemmt durch den Wald fahren möchten, ist dem Tierschützer die Ruhe für die Tiere wichtig. Der Forstbetrieb will mit dem Holz Geld verdienen, während der Naturschützer möglicherweise den Wald am liebsten als nicht kultivierten Wald sehen möchte. Dr. Marion Mangelsdorf vom Zentrum für Anthropologie und Gender Studies an der Universität Freiburg stellte beim Denzlinger Wildtierforum 2023 klar, dass die Natur der Kultur untergeordnet verstanden wird und dass die Wildtiere kulturelle Errungenschaften bedrohen und dadurch eine Provokation darstellen.
Waldbestand gefährdet
Eine Reihe von Faktoren schädigen die deutschen Wälder: Menschengemacht sind Probleme, die aus Monokulturen im Waldbau entstehen. In Kombination mit sehr trockenen Jahren hat der Borkenkäfer in in Monokultur angelegten Fichtenwäldern leichtes Spiel. Die Klimaveränderung – vermutlich auch menschengemacht! – schadet dem Wald in vielerlei Hinsicht: Trockene, kraftlose Wälder sind anfällig gegen Sturmschäden und Waldbrände. Auch Tiere wie Rotwild oder Schwarzwild werden für Schäden am Baumbestand verantwortlich gemacht. Insbesondere Buchen und Fichten leiden unter Schälschäden an ihren Rinden. In manchen Jahren sind mehr als 7 % der genannten Bäume von frischen Schälschäden betroffen. Doch auch dies ist teilweise auf den Menschen zurückzuführen. Durch z.B. falsche Fütterung benötigen die Tiere für ihre Gesundheit einen Ausgleich, den sie in den Rinden der Bäume finden. Jungpflanzen von bestimmten Edelhölzern werden auch gerne als Delikatesse vom Wild verspeist, was zu einer Entmischung im Wald führen kann.
Schwarzwild – Profiteur des Klimawandels?
Schwarzwild, sprich Wildschweine, breiten sich in deutschen Wäldern in den letzten Jahren aus. Durch die wärmeren Winter erfrieren nur noch selten Frischlinge. Gut gemästet mit Mais und Getreide hinterlassen sie auf den Wäldern nahegelegenen landwirtschaftlichen Flächen massive Fraß- und Wühlschäden. Zudem sind sie Überträger der Schweinepest sowie der Afrikanischen Schweinepest.
Jäger haben dazu gemäß der Handlungsempfehlung durch die Wildforschungsstelle BW reagiert und kombinieren verschiedene Methoden der Jagd unter Ausnutzung aller gestatteten technischen Hilfsmittel (u.a. Nachsichtgeräte). So werden alle Altersklassen – ausgenommen führende Bachen – intensiv bejagt.
Genetische Verarmung beim Rotwild
Circa 1600 Tiere Rotwild leben im Odenwald. Für das Rotwild-Management gibt es eine von den Unteren Jagdbehörden anerkannte länderübergreifende Hegegemeinschaft (HE, BW, BY), die einheitliche und gemeinschaftliche Lösungen anstrebt, z.B. einheitliche Jagdzeiten, Fütterungszeiten und Bejagungsrichtlinien, um den Bestand im Rahmen der Biotop-Kapazität zu schützen und zu steuern.
Rotwild darf nur in abgegrenzten Gebieten leben. Verlässt ein Tier dieses Gebiet, gilt ein Abschussgebot. Dieses Abschussgebot gilt für fast alle Rotwildvorkommen in Deutschland. Studien in Hessen und NRW von der Universität Gießen unter Leitung von Prof. Gerald Reiner haben ergeben, dass es zu einem deutlichen Rückgang der genetischen Vielfalt beim Rotwild gekommen ist. Bereits in 52 % der untersuchten Gebiete gibt es sichtbare Folgen dieser genetischen Verarmung: Missbildungen sowie reduzierte Fruchtbarkeit und Vitalität der Tiere. Entsprechend sind die Bestände bedroht, Tierleid inklusive.
Auch im Odenwald droht die genetische Verarmung des Rotwilds, wie in gut der Hälfte aller untersuchten Rotwildgebiete, die als stark isoliert eingestuft werden. Die genetische Vielfalt ist auch hier in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.
Wer steht in der Verantwortung?
Prof. Reiner schlägt für das Rotwildmanagement vor, Wanderkorridore und Querungshilfen durch rotwildfreie Gebiete zu schaffen und das wandernde männliche Rotwild (2-5 Jahre) zu schonen. Sie sind die Träger des genetischen Materials und für den Austausch verantwortlich. Reiner spricht sich auch für die Abschaffung des Abschussgebots in rotwildfreien Gebieten aus. Doch die Politik sieht das anders: Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, sagt: „Die Auflösung der Rotwildgebiete in BW wäre keine Lösung, weil sich damit das Problem der genetischen Verarmung nicht lösen lässt […] die zu erwartenden Schäden […] sind den Menschen, aber auch den Landwirten und Waldbesitzern nicht zuzumuten.“
Bei Schäden, die das Rotwild zum Großteil durch menschliches Fehlverhalten verursachen (s.o.), scheint dieses Argument recht schwach. Zumal für andere Tierarten (Wölfe, Biber etc.) eine solche Einschränkung auf Reviere/Gebiete nicht gilt. Offenbar fehlt es auf politischer Ebene an der Bereitschaft zu handeln. Und das obwohl sogar das Grundgesetz in Art 20a genau dazu auffordert: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Recht und Gesetz durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Eine Aufforderung zu Handeln könnte man auch aus Artikel 2 Abs 1 des Bundesjagdgesetzes ableiten oder aus §1 des Tierschutzgesetzes. Hier werden ein „artenreicher und gesunder Wildbestand“ gefordert bzw. das „Leben und Wohlbefinden von Tieren“ zu schützen.
Fazit
Intelligente Konzepte für das Rotwildmanagement existieren nach Reiner/Herzog bereits. Sie beziehen Waldbau, Forstschutz, Jagd, Tierschutz, Artenschutz etc. mit ein. Doch es fehlt an der methodischen Umsetzung und auch an sinnvollen Rahmenbedingungen. So werden Verantwortlichkeiten partikulär und nicht in ihrer Gesamtheit wahrgenommen.