Vortrag vom 20. Oktober 2025 von Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann, Technische Hochschule Aschaffenburg
Zusammenfassung erstellt von Katja Leimeister
In der Einführungsveranstaltung ordnete der Initiator und Organisator der Ringvorlesung, Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann, das Thema „Transformationen“ ein, erläuterte den Begriff und zeigte insbesondere auf, dass Transformationen nicht ohne Ziel und Führung gelingen können.
Was ist eine Transformation – und was nicht?
Transformation (von lateinisch transformare "umformen") bedeutet die Neugestaltung eines Systems – einige Komponenten werden verändert oder verworfen, andere bewusst bewahrt. Entscheidend ist die Definiertheit: Ein klar beschriebenes Ausgangssystem geht in ein ebenso klar beschriebenes Zielsystem über. Abzugrenzen ist dies von
- Mutation (Veränderung ohne Zielbild),
- Beendigung (Abschalten eines Systems) und
- Evolution (nur ex post sinnvoller Wandel).
Vier Beispiele: Mythos, Technik, Geschichte und Ökonomie
Professor Hofmann stellte vier Beispiele aus Religion, Technik, Geschichte und Wirtschaft vor, um den Begriff der Transformation zu illustrieren.
- Mythos: Die biblische Erzählung der Sintflut zeigt eine Transformation einer „schlechten“ alten in eine neue „bessere“ Welt in 40 Tagen. Noah, seine Familie und die Tiere werden als „erhaltenswerte Systemkomponenten“ bewahrt, während das Verderbte vergeht – ein Archetypus der globalen Erneuerung, den viele Weltkulturen kennen.
- Technik: Der elektrische Transformator überführt die definierten Eingangsgrößen Spannung und Stromstärke in andere definierte Ausgangsgrößen bei möglichst hohem Erhalt der Leistung – eine präzise Analogie zu geplanten Wandlungsprozessen.
- Geschichte: Der Pharao Echnaton (Amenophis IV.) wollte Religion, Kunst und Staat radikal erneuern. Das Projekt scheiterte mangels Akzeptanz – ein nachhaltiger Wandel wurde verfehlt, der alte Kultus wurde wieder eingeführt.
- Ökonomie: Ein Beispiel gelungener, aber ambivalenter Transformation ist die Industrialisierung der Landwirtschaft: Produktivität und Versorgungssicherheit steigen, ökologische und ethische Spannungen ebenso. Transformation ist nie „kostenlos“, sondern verlangt bewusste Abwägung zwischen Nutzen und Verantwortbarkeit.

Transformation und Führung
Damit Transformation nicht zufällig oder destruktiv, sondern zielgerichtet und wirksam verläuft, braucht sie Führung. Führung ist in diesem Verständnis die organisatorische Form von Steuerung – also die Fähigkeit, Wandel zielorientiert, koordiniert und sozial tragfähig umzusetzen.
Führung ist also als ein Hebel organisierter Transformation zu sehen und dient somit der Beeinflussung von Individuen zur Erreichung kollektiver Ziele. Entscheidend ist die homogene Leistung: Organisationen scheitern, wenn Einzelne das gemeinsame Niveau unterlaufen. Unternehmen müssen bewusst zwischen „Hunter“-Logik (Einzelkämpfer) und „Farmer“-Logik (kollektive Disziplin) balancieren.
Stationen der Führungstradition
Zur Einordnung skizziert Hofmann historische und systematische Muster, die jeweils eigene Formen von Wirksamkeit, Risiko und Legitimation zeigen. Führung, so seine zentrale These, ist immer Ausdruck ihrer Zeit – sie entsteht aus spezifischen gesellschaftlichen, technologischen und organisatorischen Bedingungen. Anhand einer Abfolge von Typen zeigt er, wie sich Führungsverständnisse historisch gewandelt haben.
- Anthropologisch-biologische Sicht: In kleinen Gruppen bilden sich Führungsrollen oft spontan, ähnlich wie in Tierherden. Führung ist eine emergente Funktion menschlicher Kooperation – erkennbar auch heute in Teams, in denen sich Autorität „von selbst“ ergibt.
- Megamaschinen: Großprojekte wie der Bau der Pyramiden oder der Kathedralen setzten auf Plan, Disziplin und klare Befehlsketten. Das ist effektiv, aber zum Teil ineffizient: Kreativität und Urteilsvermögen wurden zugunsten von Stabilität und Nutzen unterdrückt.
- Charismatische Führung: Emotionale Mobilisierung kann Massen bewegen, ist aber riskant, wenn Kompetenz oder Kontrolle fehlen. Charisma erzeugt Energie, aber auch Anfälligkeit für Irrationalität.
- Autoritäre bzw. nötigende Führung: Gehorsam durch Rang und Sanktion schafft Ordnung, verhindert jedoch Innovation. Dauerhafte Kontrolle erzeugt oft Gegendruck – das Bedürfnis nach Selbstbestimmung.
- Dialektische Gegenautorität: Wo Macht verhärtet, entstehen Aufstände und Reformbewegungen. Transformation ist hier nicht geplant, sondern erzwungen – ein Reaktionsprozess auf zu enge Strukturen. Auch die New Work Bewegungen können hier eingeordnet werden.
- Offene Führung (kritisch-rational): Organisationen dürfen „kein nützliches Argument verpassen“. Entscheidungen entstehen im disziplinierten Diskurs – rational, überprüfbar, reversibel. Führung wird zur Moderation von Erkenntnisprozessen.
- Antiautoritäre Modelle: Führungslosigkeit führt schnell zu Orientierungslosigkeit. Nachhaltige Selbstorganisation braucht Regeln der Freiheit – partizipative und transformationale Führung mit Zielklarheit, psychologischer Sicherheit und Förderung individueller Stärken.
Ambidextrie: Beide Hände gleichzeitig
Als zentrales Zukunftsthema beschreibt Hofmann die Ambidextrie – die Fähigkeit, Stabilität und Erneuerung zugleich zu organisieren. Sie steht für die Kunst, mit der einen Hand zu bewahren, was funktioniert, und mit der anderen Hand Neues zu gestalten. Ambidextrie ist, so Hofmann, keine Mode, sondern eine Überlebensstrategie in Zeiten beschleunigten Wandels. Sie verlangt Steuerung, Kommunikation und die Fähigkeit, zwischen Stabilität und Veränderung zu vermitteln.
- Erste Hand (Exploit): Sie sichert das Kerngeschäft – Effizienz, Standards, Verlässlichkeit. Routine und Disziplin schaffen Qualität und Stabilität; ohne sie verliert das Unternehmen seine operative Basis.
- Zweite Hand (Explore): Sie erschließt die Zukunft – durch Offenheit, Kreativität und gezielte Experimente. Innovation braucht Freiraum, Fehlertoleranz und institutionalisierte Strukturen wie Pilotprojekte oder „New-Tech-Teams“.
- Balanceprinzip: Entscheidend ist das Zusammenspiel beider Hände. Hofmanns Beispiel aus dem Motorsport verdeutlicht es: Ein 24-Stunden-Rennen gewinnt nur, wer ankommt – und zugleich schnell genug fährt. Zu viel Innovation gefährdet Zuverlässigkeit, zu viel Routine verpasst Innovationen. Diese Balance lässt sich gestalten zeitlich durch feste Innovationsfenster, strukturell durch separate, aber vernetzte Einheiten und kulturell durch Führung, die Sorgfalt und Mut zugleich fördert.
Fazit: Transformationen sind kein Ausnahmezustand, sondern Normalform moderner Entwicklung. Entscheidend ist, was erhalten bleibt, was sich ändern soll und wie Führung beides in Einklang bringt.