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Ringvorlesung "Die Krise des Ehrenamts – Auswege und Chancen"

Beitrag von Katja Leimeister zum Vortrag von Eric Leiderer (Bürgermeister Stadt Aschaffenburg) im Rahmen der Ringvorlesung „Krisen und Auswege“ am 9. Januar 2023

 

Bürgermeister Eric Leiderer von der Stadt Aschaffenburg hielt im Rahmen der Ringvorlesung einen leidenschaftlichen Vortrag zum Thema Ehrenamt. „Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass das Ehrenamt mir immer Spaß gemacht hat und es hat mir auch Berufs- und Entwicklungschancen aufgezeigt. Daher werbe ich gerne für das Ehrenamt!“

Neben seinem Berufsstart Ende der 1980iger Jahre als Zerspanungsmechaniker hat er sich von Beginn an in mehreren Gremien der IG Metall und in der betrieblichen Interessensvertretung engagiert. Über mehrere Stationen der IG Metall ist er bis zum Bundesjugendsekretär und Organisationsleiter aufgestiegen. Seit 2014 ist er für die SPD in der Kommunalpolitik aktiv und seit 2020 als Bürgermeister von Aschaffenburg für die Themen Digitales, Personal, zentrale Dienste sowie Stadt- und Stiftsarchiv verantwortlich.

 

Was ist Ehrenamt?

Ein Ehrenamt ist die selbstlose Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes oder einer gesellschaftlichen Aufgabe im Gemeinwohlinteresse ohne Einkunftserzielung. Es besteht gegebenenfalls die Möglichkeiten zur Aufwandsentschädigung, z. B. die Ehrenamtspauschale, Übungsleiterpauschale, usw. Die Übernahme eines Ehrenamts ist in der Regel freiwillig.

Es geht also darum, sich über Beruf und Familie hinaus aktiv an der Entwicklung und

Verbesserung unserer Gesellschaft (Aktivisten im Klimaschutz, Tierschutz, etc. zu beteiligen. Die meisten Ehrenämter gibt es in Vereinen (Sport, Musik, Feuerwehr, soziale Vereine etc.), bei denen in der Regel die Vorstandschaft ehrenamtlich tätig ist. Aber auch in Kirchen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen und Parteien sind Ehrenamtliche eine wichtige Stütze der Gesellschaft.

 

Warum brauchen wir das Ehrenamt?

Hierfür gibt es drei Gründe: Vielleicht der wichtigste: Ohne Ehrenamt würde die Gesellschaft nicht funktionieren. In einigen Bereichen könnten Versorgungslücken entstehen. Insbesondere Initiativen und Vereine in sozialen, pädagogischen und kulturellen Lebensbereichen profitieren von bürgerschaftlichem Einsatz. Aber auch um bestimmte Nischeninteressen zu bedienen, bedarf es des Ehrenamts.

Gerade diese Vielfalt bietet auch für jeden in der Gesellschaft eine Anlaufstelle und die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Wer nichts Passendes findet, kann zudem eine eigene Community gründen, sei es als Verein oder als lose Interessengemeinschaft.

Und last not least: Ehrenämter sind nützlich für die persönliche und berufliche Entwicklung, da man über den Tellerrand hinaus, Aufgabenfelder kennenlernt, ggf. sich weiterbilden kann, Kontakte knüpft und sich gut vernetzt.

Sprich: Das Ehrenamt nützt nicht nur der Gesellschaft, sondern auch jedem Einzelnen, der sich engagiert.

 

Krise des Ehrenamts?

An Freiwilligen mangelt es in Deutschland meist nicht (vgl. FreiwilligenSurvey 2019: knapp 40% sind ehrenamtlich tätig). Egal ob sich die Menschen für Tierschutz, Klimaschutz, soziale Themen, Freizeitaktivitäten einsetzen, gemäß den jeweils persönlichen Interessen finden sich immer welche, die das Thema bereit sind voranzutreiben. Auffallend ist, dass sich ältere Menschen überproportional engagieren. Eng ist es allerdings meistens in der vordersten Reihe: Kaum jemand ist noch bereit, die Führungsrolle zu übernehmen. Hier gehen die Zahlen in den letzten Jahren deutlich zurück. 

Das ist alarmierend! Während Mitglieder in vielen Bereichen stagnieren, hat insbesondere der DGB bei seinen Mitgliederzahlen einen starken Rückgang zu verzeichnen. Das kann insbesondere zukünftig ein Problem werden, da aus der Gesamtheit der Mitglieder auch die FunktionsträgerInnen rekrutiert werden. 

Woran liegt es, dass sie immer weniger Menschen in vorderster Front engagieren möchten? Die Gründe sind vielschichtig. Genannt werden unter anderem Zeitmangel, gesundheitliche Gründe, Informationsmangel, Desinteresse/Egoismus. Gerade die mit dem Ehrenamt verbundenen Belastungen bringt Bloggerin Mrs Verde auf den Punkt: Das Gefühl es niemandem recht zu machen und dabei zulasten der eigenen Gesundheit, der Familie und dem eigenen Geldbeutel zu handeln, führt dazu, dass sich immer weniger Menschen ehrenamtlich in einer Führungsrolle sehen. https://mrsverde.com/ehrenamtlich-arbeiten/

Betrachtet man genauer, warum das Ehrenamt in vorderster Front nicht besonders attraktiv ist, trifft man auf vier Handlungsfelder, die es dem Ehrenämtler schwer machen und abschrecken.

 

  1. Bürokratie wir immer komplexer: Rechtliche Vorschriften wie Datenschutzrichtlinie, Hygienevorschriften, elektronische Kassenführung, etc.
  2. Mit dem Ehrenamt stehen einzelne Personen als Zielscheibe im Fokus stehen, sie verlieren ihre Anonymität. Das kann in sensiblen, politisch umstrittenen Interessensfeldern zu Beleidigungen bis hin zu Hatespeech und Shitstorms im Netz führen.
  3. Digitalisierung wird von den Mitgliedern und Interessenten erwartet. Doch gerade die ältere Generation, die vielleicht etwas mehr Zeit investieren kann und meist in Vorstandspositionen gewählt ist, hat wenig Erfahrung und Berührungsängste mit digitalen Tools.
  4. Auch Ehrenämtler sind nur Menschen. Und gerade die Freiwilligkeit und die Erbringung der Leistung ohne Gegenleistung (Geld) schaffen einen inneren Anspruch, dass die Leistung öffentlich anerkannt und wertgeschätzt wird. Da spielt es eine große Rolle, wer wann wen in welchem Rahmen und wie als Stütze des Vereins/der Gesellschaft etc. hervorhebt. 

Kommunen aber auch verschiedene Initiativen lassen die Ehrenämtler in dieser Situation nicht alleine. In Aschaffenburg gibt es beispielsweise die Ehrenamtsagentur „Aschaffenburg aktiv!“, die bei vielfältigen Herausforderungen im Vereinswesen unterstützt und Menschen in den Austausch bringt. Bildungsangebote gibt es zum Beispiel für Digitale Trends, Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen oder Verwaltung von Vereinen. Für Hatespeech gibt es eine Menge Meldestellen, an die sich Betroffene wenden können.

 

Vorteile deutlich herausheben

Vielfach sind den Menschen die Vorteile, die ein Ehrenamt bietet, nicht bekannt oder bewusst: Ehrenämtler gaben im FreiwilligenSurvey 2019 an, dass ihre Hauptmotive „Spaß“ (93,9%), „anderen Menschen helfen“ (88,5%) und „etwas für die Gesellschaft tun“ (87,5%) seien. Dass sie über eine Ehrenamtspauschale auch etwas dazuverdienen, ist nur für 5,6% der Befragten ein Motiv. Immerhin geben mehr als 50% auch an, dass sie im Ehrenamt „Qualifikationen erwerben“. Doch wie können diese Vorteile an die derzeit eher passiven Bevölkerungsteile vermittelt und vor allem junge Menschen für ein Ehrenamt begeistert werden? Am Ende des Vortrags wurden hier in der offenen Gesprächsrunde einige Vorschläge diskutiert.

 

Zunächst wurde angeregt, dass Kunst, Kultur, Sport und Soziales noch mehr als bisher vom Staat gefördert werden sollte und er auch die entsprechenden Strukturen und Hauptamtliche dafür vorhalten sollte. Doch in einer heterogenen Gesellschaft mit vielschichtigen Interessen würde dies unter Kosten-/Nutzen-Aspekten schnell bedeuten, dass Nischen schnell eingestellt werden. Und wer entscheidet, was unter Kunst, Kultur, Sport und Soziales fällt? Vereinfacht gesagt am Beispiel Sport: Da gäbe es noch Fußball, Handball und Tischtennis, aber was wäre mit Petanque und Croquet?

 

Als weiteren Vorschlag wurde formuliert, dass das Ehrenamt bereits in der Schulzeit thematisiert werden könnte. Auch wurde ein verpflichtender „Freiwilligendienst“ nach der Schulzeit ins Gespräch gebracht. Einen wichtigen Beitrag könnten auch Unternehmen leisten, indem sie Mitarbeitende für soziales Engagement freistellen. Das würde für die Unternehmen gleichzeitig die Arbeitgeberattraktivität erhöhen, - ein interessanter Ansatz in Zeiten von Fachkräftemangel. Ansonsten können auch lokale Zeitungen, hierzulande das Main-Echo, einen wichtigen Beitrag leisten, in dem sie zum Beispiel eine redaktionelle Serie zum Ehrenamt bringen (ergänzend zum ohnehin schon gut etablierten „Unser Echo“ – die Freitagsbeilage, in welcher Vereine kostenfrei ihre Meldungen platzieren dürfen.)

 

Fazit: Perspektivisch wird die Krise von Vereinsarbeit und ehrenamtlichen Vorstandsposten gesellschaftliche Auswirkungen haben. Daher ist es wichtig, das Kommunen und Initiativen ihre Unterstützungsleistungen offensiv anbieten. Für Vereine, Parteien, Kirchen etc. ist es gleichsam von Bedeutung, dass sie ihre (potenziellen) Ehrenämtler mit den Herausforderungen nicht alleine lassen und diese ermutigen, die Unterstützungsangebote anzunehmen.