Ein Blogbeitrag von Meike Schumacher zum Vortrag von Prof. Dr. theol. Ruben Zimmermann, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz / Zentrum für Ethik in Antike und Christentum
Prof. Dr. theol. Ruben Zimmermann ist seit 2009 Professor für das Neue Testament und Ethik an der Universität Mainz. Im Zentrum seiner Forschung seht die Schöpfungs- und die Klimaethik, was auch der Fokus seines Vortrags im Rahmen der Ringvorlesung „Verantwortung“ am 6. November 2023 war.
Dass es in Bezug auf die Klimakrise nichts zu beschönigen gibt, stellt Zimmermann gleich zu Beginn seines Vortrages klar und rief den Teilnehmenden die Bilder dieses Jahres ins Gedächtnis: unkontrollierbare Waldbrände in Kanada in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, Flutkatastrophen in Griechenland und Libyen und andere Extremwetter. Man könne heute nicht mehr sagen „nach mir die Sintflut“, sondern es muss heißen „mit mir die Sintflut“, so Zimmermann. Demzufolge fragt Ruben Zimmermann: Brauchen wir eine „Verantwortungsethik 2.0“, die nicht nur das Überleben der Menschen, sondern ganzer Erdsysteme und aller Lebewesen im Blick behält?
Dass wir im Jahr 2023 das Spektrum der normalen Schwankung verlassen haben, zeigt die Erwärmung der Ozeane (Grafik:
https://climate.copernicus.eu/record-high-global-sea-surface-temperatures-continue-august)
. Es gab auch in früheren Jahren, wie etwa 2016, Ausschläge, die jedoch immer einem Muster folgten. In diesem Jahr wird das Muster jedoch verlassen, was Meteorologen bislang nicht einordnen können. Ob es sich hierbei um ein einmaliges Extrem handelt oder ein Kipppunkt erreicht wurde, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Die Klimaveränderungen werden vom IPCC (International Panel on Climate Change) seit 1988 beschrieben. An diesem Panel nehmen 195 Staaten teil. Im Jahr 2023 wurde im sechsten Sachstandsbericht ein Resümee gezogen. Darin sind 800 AutorInnen aus 90 Nationen, die über mehrere Jahre mehr als 100.000 wissenschaftliche Studien (incl. Metastudien) auswerteten, zu dem unbestreitbaren wissenschaftlichen Befund (99,7%) gelangt, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht ist und der Hauptverursacher Treibhausgase, insbesondere CO2 sind.
„Wer angesichts eines solchen Befundes den Klimawandel leugnet und behauptet ‚das gab es schon immer‘, der ist ein Idealist und Verschwörungstheoretiker und kein Mensch, der auf dem Boden des Vernunftdiskurses steht“, so Zimmermann
Wie soll man mit diesem Prognosen umgehen? Dazu zieht Zimmermann eine Metapher heran: Was würden Sie tun, wenn Ihr Kind auf die Straße rennt und einen herannahenden LKW übersieht? Abwarten? Das Kind an die Verkehrsregeln erinnern? Mit dem Kind diskutieren? In gemäßigtem Ton warnen? Oder einfach das Kind packen, um sein Leben zu retten?
Verantwortungsethik und der Faktor „Zeit“
Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag zur Ringvorlesung erläutert Zimmermann die Herkunft und die Mehrstelligkeit des Verantwortungsbegriffs: Wer trägt wie und wofür, vor wem und wann die Verantwortung? Der Verantwortungsbegriff ist komplex und damit ist es auch die Verantwortungsethik, die nach der Begründung und Bewertung verantwortlichen Handelns fragt. Ein Aspekt, der vor allem in der Verantwortungsethik zum Tragen kommt, ist die Zeitfaktor. Handeln vollzieht sich in der Zeit: Handlungen aus der Vergangenheit ziehen Folgen für die Gegenwart nach sich. Handeln in der Gegenwart hat Folgen für die Zukunft. Die Verantwortungsethik ist nun besonders eine Zukunftsethik, oder genauer gesagt eine „konsequentialistische“ bzw. „teleologische“ Ethik. Ob eine Handlung richtig und gut ist, wird von den Folgen, also den Handlungskonsequenzen bzw. Zielen aus beurteilt. Damit unterscheidet sich die Verantwortungsethik von der Prinzipienethik im Sinne von Immanuel Kant. Allerdings kann Verantwortung selbst zu einem Prinzip werden, wie der Philosoph Hans Jonas es im „Prinzip Verantwortung“ (1979) ausgeführt hat. Ihm ging es um die Verantwortung für das Fortbestehen der Menschheit und sogar allen Seins. Deshalb hat einen neuen kategorischen Imperativ formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Die (Un-)verantwortlichkeit des/der Einzelnen
In der Sozialpsychologie kennt man verschiedene Effekte, warum sich Menschen verantwortlich oder auch unverantwortlich verhalten:
- Diffusion der Verantwortung: Darunter ist zu verstehen, dass Menschen eher Verantwortung übernehmen, wenn sie alleine in eine Situation kommen, die Verantwortung erfordert. In einer Menschenmenge wird eher angenommen, dass es jemanden gibt, der das besser kann.
- Die Pluralistische Ignoranz: Wenn andere keine Verantwortung übernehmen, ist man selbst leichter gewillt, dies ebenfalls nicht zu tun.
- Bewertungsangst/Inkompetenz: Aus Angst etwas falsch zu machen, wird die Verantwortung auf andere übertragen
- Selbstaufopferung (Helfersyndrom/Burn-out-Syndrom): wer sich immer verantwortlich fühlt, neigt dazu ein Burn-out zu erleiden.
- Kaschierte Herrschaft/Machtausübung: Andere ständig zur Verantwortung zu treiben und auf die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen hinzuweisen, kann eine Form von Machtausübung und kaschierter Herrschaft sein.
- Unnatürliche Gegenselektion: dahinter steckt die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist für bestimmte Phänomene Verantwortung zu übernehmen, die „außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs“ liegen.
Um beim Klimaschutz entschlossen aktiv zu werden, braucht es eine Klima-Sensibilität in der Bevölkerung. In Deutschland ist diese jedoch – zumindest nach der Umweltbewusstseins-Studie des Bundesumweltamts aus dem Jahr 2022 – abnehmend. Demnach ist das Klima nur noch auf Platz fünf der wichtigsten Themen.
Oftmals ist es auch nicht ohne weiteres für den Einzelnen erkennbar, welche Maßnahmen wirklich das Klima positiv beeinflussen und wo es sich eher um „Greenwashing“ handelt. „Klima-Verantwortung gibt es nicht ohne Verzicht und Veränderung“, so Zimmermann und nennt hierfür einige Beispiele, wie Verzicht auf Luxus, Fernreisen oder einen konsumorientierten Lebensstil.
Individuelle Verantwortung alleine reicht jedoch in der Klimakrise nicht aus. Eine besondere Verantwortung kommt der Politik zu, die den Rahmen vorgibt und auch unbequeme Maßnahmen ergreifen muss.
Die (Un-)Verantwortlichkeit der „Klima“-Regierung
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ (Art. 20a des Grundgesetzes)
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die zur Minderung der Treibhausgasemissionen führen. Man muss jedoch feststellen, dass die gesteckten Ziele mit den bislang ergriffenen oder geplanten Maßnahmen nicht erreicht werden können. Problematisch zu sehen ist, dass vielfach eher den Wünschen bestimmter Interessensgruppen entsprochen wird, als konsequent Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.
So gibt es etwa bislang kein Tempolimit, auch wenn dies eine Einsparung 3,5 % aller Emissionen im Verkehrssektor bedeuten würde. Das Klimaschutzprogramm 2023 wird als unzureichend erkannt, es wird jedoch dennoch am 4. Okt. 2023 verabschiedet. In einer Neufassung kommt es zur Aufweichung des Klimaschutzgesetzes und beispielsweise zur Minderung der Klimaschutz-Auflagen in der Bauindustrie bei Neubauten. Diese sind – global gesehen – zu 38 % verantwortlich für CO2-Emissionen.
“Der Expertenrat [für Klima] stellt daher fest, dass das vorgelegte Klimaschutzprogramm 2023 nicht die Anforderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes an ein Klimaschutzprogramm erfüllt. (...)“.
Die (Un-)Verantwortlichkeit der Klima-Aktivist*innen
Wie sind vor diesem Hintergrund die Aktionen von Klima-Aktivist*innen zu bewerten? Kaum etwas polarisiert im Kontext „Klimaschutz“ so stark wie die Aktionen der „Letzten Generation“. Vom LKA Bayern wurde diese Gruppierung als kriminelle Vereinigung eingestuft und einige Mitglieder wurden sogar in Präventivhaft genommen. Diese rechtswidrige Vorverurteilung der Exekutive wurde aber sehr schnell wieder aus dem Netz genommen. Auf der anderen Seite sollte das Versammlungsrecht auch Protestformen schützen, die disruptiv wirken und von der Mehrheit als Störung empfunden werden. Die Klimaaktivist*innen handeln mit explizitem Bezug auf das oben zitierte Grundgesetz Art. 20a, indem sie von der Regierung die Verantwortung auch für künftige Generationen einfordern. Sind die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation also unverantwortlich oder sogar in besonderem Maße verantwortlich für den Erhalt von Leben, Recht und Gerechtigkeit in Zukunft?
Viele Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass gesellschaftliche Umbrüche vielfach mit zivilem Widerstand einhergehen (wie z. B. das Frauenwahlrecht in GB, die Unabhängigkeit Indiens, die Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA). Ob der Zweck immer die Mittel heiligt, darüber lässt sich natürlich streiten. Dass die Menschheit nicht so weitermachen kann, wie bisher – darüber sicher nicht!