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Ringvorlesung: Verantwortung im politischen Mandat

Zwischen Normativität und Pragmatismus

 

Ein Blogbeitrag von Katja Leimeister zum Vortrag von Andrea Lindholz, Mitglied des Deutschen Bundestages#

 

Am 18. Dezember stand das Thema „Verantwortung im politischen Mandat“ im Mittelpunkt der Ringvorlesung Verantwortung. Andrea Lindholz, MdB, erläuterte, welchen Herausforderungen sie als Abgeordnete gegenübersteht und warum ein Code of Conduct für das politische Mandat sinnvoll wäre.

 

Wem gegenüber sind Abgeordnete verantwortlich?

Abgeordnete haben Verantwortung gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere in ihrem Wahlkreis (rund 230.000 Menschen). Bürgersprechstunden, Direktanfragen (Anrufe, Briefe etc.), Termine bei Unternehmen (z.B. Werksbesichtigungen), bei Verbänden, Vereinen und gesellschaftlichen Einrichtungen ermöglichen die Anliegen der Menschen im Wahlkreis zu erfassen und zu Lösungen bei konkreten Anliegen beizutragen. Besuche von Schulklassen und anderen Gruppen im Bundestag in Berlin schaffen Gelegenheiten, Politik zu erklären und transparent zu machen.

 

Auf Bundesebene ist man als Abgeordnete in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Der Abgeordnete muss hier abwägen, in welchen Fällen ein Gesetz der Mehrzahl der 83 Mio. Bürgerinnen und Bürger zugutekommt und in welchen Fällen dies nicht allen zugutekommt, aber in der Form so umzusetzen ist. Egal ob Steuergesetzgebung, Sondervermögen der Bundeswehr oder Einführung von Grenzkontrollen (um einige aktuelle Themen zu nennen), hier gilt es für Abgeordnete überordnete Ziele und Anliegen größerer und kleinerer Interessengruppen sorgsam gegeneinander abzuwägen und Entscheidungen so zu treffen. Ebenso sind Abgeordnete für die Kontrolle der Regierung und der nachgelagerten Behörden mitverantwortlich. Dieser Kontrollaufgabe wird unter anderem über die Ausschüsse nachgekommen.  

 

 

Abgeordnete sind auch den kommunalen VerantwortungsträgerInnen gegenüber verantwortlich. So fungieren Abgeordnete als Scharnier zwischen Land/Bund und der Region bzw. der Kommune. Durch die Zusammenarbeit von Abgeordneten und kommunalen VerantwortungsträgerInnen können zum Beispiel Anträge auf Fördergelder (zum Beispiel Infrastrukturprojekte) zum Erfolg geführt werden. 

Auch der Partei und der Fraktion gegenüber sind Abgeordnete verantwortlich. Hier gilt für sie die Fraktionsdisziplin, in welcher sich Fraktionsmitglieder auf eine gemeinsame Linie einigen. So sind sie unter anderem bei Koalitionsverhandlungen aufgefordert, gemäß dem gemeinsamen Parteiprogramm zu verhandeln und die Positionen der Partei anderen gegenüber zu vertreten.  

Last but not least sind Abgeordnete auch sich selbst gegenüber verantwortlich. Hier gilt es, regelmäßig zu überprüfen, inwieweit die Positionen der Partei/der Fraktion den eigenen Überzeugungen entsprechen. Der Abgeordnete muss für sich abwägen, wie stark die eigene Entscheidung eine Gewissens- und Vernunftsentscheidung ist.  

 

Welche Maxime liegen dem politischen Handeln der Abgeordneten nach Max Weber zu Grunde?

Lindholz bezieht sich bei den Maximen des politischen Handelns auf Aussagen des deutschen Soziologen Max Weber (1864- 1920). In seinem Buch „Politik als Beruf“ schreibt dieser: „Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt (…), oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“

 

Im Alltag von Abgeordneten stellt sich also regelmäßig die Frage, inwieweit der eigene Glaube, die politischen Überzeugungen in den Vordergrund gestellt werden dürfen? Oder soll allein das Resultat politischen Handelns als Maßstab gelten? Die parlamentarische Demokratie hat dies im Grundgesetz bewusst miteinander verschränkt.

 

Welche Politikbereiche besitzen besondere Verantwortung?

Der Staat steht in der Verantwortung, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, den sozialen Frieden zu erhalten und die Demokratie zu stärken. Innenpolitische Herausforderungen sind hier u.a. die Bekämpfung des Extremismus, Terrorismus, Antisemitismus. Auch die Bedrohungen im digitalen Raum z. B. im Bezug auf kritische Infrastrukturen im Cyberraum sind Bereiche der Innen- und Sicherheitspolitik von besonderer Tragweite. Entscheidungen sind auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit zu prüfen. In der Gesundheitspolitik stehen Themen wie flächendeckende Versorgung und Bekämpfung/Vermeidung von Pandemien in der besonderen Verantwortung. Umwelt- und Wirtschaftspolitik spielen zusammen, wenn es um die Abwendung von Klimafolgen und der Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften geht.

 

Welche Chancen bietet ein „Code of Conduct“ für das politische Mandat?

Aus der Wirtschaft bekannt sind Konzepte wie ein Code of Conduct (Verhaltenskodex), die Führungspersonal aber auch Mitarbeitenden Orientierung geben sollen. In der Medizin ist der Hippokratische Eid Leitmotiv für Ärzte und medizinisches Personal. Ein vergleichbares Modell gibt es für Abgeordnete nicht. Dabei könne ein Verhaltenskodex in Form eines Amtseids für Abgeordnete Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik als Zeichen der Verbindlichkeit stärken. Unter anderem könnte ein solcher Amtseid folgende Aspekte abdecken: Versprechen nach Integrität, Transparenz, Verantwortlichkeit und Respekt gegenüber Kollegen und der Öffentlichkeit. Lediglich im Bereich der Nebeneinkünfte sind Transparenzregeln formuliert.

 

Resümee

Verantwortung im politischen Mandat ist ein Spagat zwischen Normativität und Pragmatismus. Abgeordnete(r) zu sein, bedeutet die Chance zu ergreifen, mitzugestalten. Dabei muss es Abgeordneten bewusst sein, dass diese mit ihren Entscheidungen eine große Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger tragen. Letztlich gilt es sich stets zu fragen, wem nutzt die Entscheidung, wen beeinträchtigt sie im Zweifelsfall und in welchem Verhältnis stehen Aufwand und Nutzen für die Allgemeinheit? Und um nochmals auf Max Weber zurückzukommen: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“