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Digitalisierung in der Steuerberatung und Wirtschaftprüfung

 

Mit Prof. Dr. Joachim Faß, TH-Aschaffenburg

 

Der Ausgangsprozess für die Digitalisierung in der Finanzbuchhaltung ist die Umwandlung klassisch analoger Daten (Kassenbelege, Rechnungen, Bankauszüge) in digitale Formate sowie die Datenübernahme aus Mandantensystemen. Im Kern werden damit einfache Routineaufgaben der Finanzbuchhaltung automatisiert. Darüber hinaus geht der Ansatz, mit Hilfe lernfähiger Algorithmen, die Arbeitsergebnisse im Zeitablauf stetig zu verbessern (schwache KI). Dieses Vorgehen wird so weitergedacht, dass letztlich der Mensch in seiner Gesamtkompetenz ersetzt oder übertroffen werden kann (starke KI) – Ausgang offen.

 

Digitalisierungsschübe in der Steuerberatung

 

Entsprechend ist die Digitalisierung im Finanzwesen voll im Gange und die berufsständischen Organisationen begleiten diesen Prozess offensiv. Dabei geht es aktuell vor allem um Effizienzsteigerungen (klassische Finanzbuchhaltung) bei den Kanzleiprozessen und um neue Produkte (kontinuierliche Integration der Administration rund um Waren- und Finanzflüsse in vernetzte betriebliche Prozesse). Auf Seiten der Steuerberatung sind in erster Linie die klassischen Bereiche (Voranmeldungen, Steuererklärungen, Jahresabschlüsse) betroffen. Die Gestaltungsberatung (Betriebswirtschaftliche Analyse und Entwicklung, Existenzgründung, Fusionen) sowie die Durchsetzungsberatung (Einsprüche, Betriebsprüfungen, Gerichtsprozesse) bieten dagegen aufgrund ihrer Komplexität deutlich weniger Digitalisierungspotenzial.

 

Vor- und Nachteile der Digitalisierung

 

Der klassische Prozess einer Finanzbuchhaltung in einer Steuerkanzlei setzt sich wie folgt zusammen:

  1. Mandant sammelt und sortiert Belege
  2. Sachbearbeiter verarbeitet die Belege
  3. Auswertungen werden erstellt (Betriebswirtschaftliche Auswertungen, Summen- und Saldenlisten, Umsatzsteuervoranmeldung, etc.)
  4. Rückgabe der Belege und Auswertungen an den Mandanten

Die Nachteile in diesem Prozess sind lange Wegzeiten, ein großer Dienstleistungsaufwand, zeitlich konzentrierter Bearbeitungsaufwand rund um die Steuertermine (Umsatzsteuervoranmeldungen, Lohnsteueranmeldungen) und ein zeitlicher Versatz zum Beispiel zwischen Rechnungseingang und der betriebswirtschaftlichen Auswertung.

 

Eine breit etablierte Schnittstelle der Digitalisierung ist das Einscannen von Belegen (z.B. Rechnungen, Kassenbelege), das zum Teil direkt von den Mandanten vorgenommen wird. Weiterhin können z.B. die Bankdaten digital von der Bank abgerufen und so automatisiert in die Buchhaltung integriert werden.

 

Vorteile dieser Digitalisierung sind

  • Der Zugriff auf Daten ohne Wegeaufwand.
  • Die zeitnahe Integration von Mandantendaten.
  • Die Software verarbeitet Routinen, generiert als lernendes System Buchungsvorschläge und markiert Unsicherheiten, bzw. Fehler.

Im Ergebnis kann das eine Zeitersparnis bringen, einen vernetzten Zugriff von allen Beteiligten ermöglichen und die Sicherheit (durch Cloud-Lösungen) verbessern. Mit der komplex vernetzten Prozessintegration erhöht es - aus Sicht der Steuerberater - auch die Kundenbindung.

 

Veränderung der Anforderungen an Mitarbeiter

 

In diesem Prozess der Digitalisierung entwickeln sich die Mitarbeiter zu Kontrolleuren der Systeme, Prozesse und Ergebnisse. Sie müssen die Hintergrundlogiken der Software verstehen, Unsicherheiten entscheiden und Fehlerursachen identifizieren können. Die erweiterte Datenverarbeitung erhöht die Komplexität. Neben der fachlichen Qualifikation in den Bereichen Steuern und Rechnungswesen werden vom Mitarbeiter der Zukunft verstärkt EDV-Kenntnisse vor allem bezüglich der automatisierten Umsetzung (finanz-)betrieblicher Prozesse erwartet.

 

Digitalisierung im Zusammenspiel mit dem Finanzamt

 

Seit Jahren haben sich die Elektronische Steuererklärung (ELSTER) und die elektronische Bilanz etabliert. Auch Lohnabrechnungen und Meldungen an die Sozialversicherungen werden digital und automatisiert abgewickelt. Auf diese Weise bauen sich auf Seiten des Finanzamtes und der Sozialversicherungen Referenzdaten auf, mit denen eine elektronisch standardisierte Vorprüfung aller Betriebe vorgenommen werden kann. Zum Beispiel werden die branchenüblichen Richtsätze für das Steueraufkommen automatisiert abgeglichen und große Abweichungen angezeigt – so entstehen Prüffälle. Dies erhöht die Entdeckungswahrscheinlichkeit und Effizienz der Betriebsprüfungen insgesamt. Aktuell erwirtschaftet ein Betriebsprüfer ca. 1 Million Euro pro Jahr.

 

Digitalisierungsschübe in der Wirtschaftsprüfung

 

Am Beispiel der Testierung von Jahresabschlüssen kann man den Wandel durch digitale Technologien auch in der Wirtschaftsprüfung deutlich erkennen. Die Zielsetzung ist ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk, in dem die Risikobereiche betrachtet wurden und eine qualifizierte Aussage über die wirtschaftliche Situation mit „hinreichender Sicherheit“ (ohne Vollprüfung) getroffen werden kann.

 

Neue Möglichkeiten durch vernetzte Daten

 

Der Standard einer Wirtschaftsprüfung sind klassische betriebswirtschaftliche Auswertungen und „Journal Entry Testings“ zu Auffälligkeiten mit Blick auf Gegenkonten, Zeitverläufe, Ausreißer, etc. Darüber hinaus werden BigData-Analysen eingesetzt, um Muster und Abweichungen sowie Inkonsistenzen aus den Volldaten zu erschließen. Diese komplexen Prozesse laufen im Hintergrund. Die Wirtschaftsprüfer selbst nutzen in der Regel nur die Ergebnisse.

 

Insgesamt steigt mit der Digitalisierung der Betriebe die Komplexität der Finanzprozesse in den Unternehmen. Zugleich werden die Prüfungen durch entsprechend komplexe Hintergrundprozesse digital gestützt. Darüber hinaus können Nebenbücher unkompliziert verknüpft und auch ausgewertet werden:

  • Einkauf/Verkauf (z.B. Mengen- und Preisabgleiche zwischen Bestellung/Lieferung/Rechnungsstellung)
  • Vorratsbewertung (Einzelbestandteile der Herstellungskosten, Reichweitenabschläge)
  • Analyse der gesamten Unternehmensprozesse (Dataminig)

Die technische Umsetzung dieser erweiterten und integrierten Analyse ist aktuell nur auf die großen Systemprodukte wie SAP u. a. ausgerichtet. Kleine Programme und Teillösungen werden von den Programmen kaum integriert, womit kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) diese Entwicklung aktuell noch nicht durchlaufen. Perspektivisch lassen sich allerdings mehr Standardprozesse analytisch automatisiert aufbereiten und in ein kontinuierliches Berichtswesen überführen. Die hohen Kosten definieren aktuell die Zutrittsschwelle. Für KMU kommen deshalb Kooperationsmodelle mit anderen Unternehmen in Frage.

 

Veränderung der Anforderungen an Mitarbeiter

 

Auch in diesem Bereich besteht die Herausforderung, Mitarbeiter in ihrer Prozess- und Kontrollkompetenz für Datensätze mit komplexen Hintergrundverknüpfungen zu qualifizieren. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten wird sich von Standardtätigkeiten und -auswertungen hin zu strategischen Beratungen und Bewertung von Spezialfällen verschieben. Neue Geschäftsperspektiven liegen in Dienstleistungen, mit denen die digitale Automatisierung von KMU mit betriebswirtschaftlicher Expertise verknüpft werden.