Teil 5 der Ringvorlesung Nachhaltigkeit: Nachhaltiger Stationärer Handel - Es muss nicht immer Plastik sein!
(Tobias Jung, MAINTEAM Bild · Text · Kommunikation GmbH)
Ein Beitrag von Katja Leimeister und Joachim Schmitt
Corona hat den sich abzeichnenden Trend für steigende Onlinekäufe deutlich beschleunigt. Die in Teilen hektische und manchmal grenzenlose Konsumfreude lebt im Netz. Doch was bedeutet es volkswirtschaftlich, wenn zunehmend einzelne Pakete an einzelne Empfänger ausgeliefert werden? Und was kann der Einzelhändler vor Ort zur Vermeidung von Verpackungsmüll beitragen?
Viel Luft durch Mogelpackungen
Passende Verpackungen für jedwedes Produkt zu finden, scheint für Onlineshops ein schwieriges Unterfangen zu sein. Da wird schnell auch mal ein Reclam-Heftchen in einem Karton versendet, der auch 100 Exemplare gefasst hätte. Auch wenn Mogelpackungen im Volksmund verpönt sind und es dafür Rechtsgrundlagen wie das Mess- und Eichgesetz oder das Verbraucherschutzgesetz gibt, im Onlinehandel sind sie Gang und Gäbe. Hintergrund: Der Versandpreis ist innerhalb bestimmter Stufen immer der gleiche. Daher finden sich in vielen Lieferdienst-Transportern auch 40 % Luft, die quer durch Deutschland gefahren wird. Platz, der womöglich besser genutzt werden könnte!
Gute Gründe für den Onlinekauf?
Auch wenn viele von uns bereits überdimensionierte Verpackungen erhalten haben, die Vorzüge des Onlinekaufs sind nicht von der Hand zu weisen: Jederzeit-Verfügbarkeit, virtuelle Öffnungszeiten rund um die Uhr, und womöglich günstige Preise durch hohe Transparenz und Konkurrenz. Vergessen werden da schnell, dass die Arbeitsbedingungen bei den großen Shops und den Lieferdiensten schlecht sind, dass es einer Reihe von Ressourcen bedarf (für Verpackung und Lieferung), und dass Kosten aus CO2-Ausstoß und Entsorgung gerne auf die Gemeinschaft abgewälzt werden. Die Folgen betreffen zunächst nur „die Umwelt“; zeitverzögert dann doch auch die Menschengemeinschaft. Ein gutes Beispiel hierfür kann der Kauf von Lebensmitteln sein: Während sie im Unverpackt-Laden aus großen Gebinden entnommen und im eigenen Gefäß nach Hause getragen werden, sind Lebensmittel aus dem Onlinehandel meist in Plastik verpackt und zusätzliches Füllmaterial sorgt für den Transportschutz. Die Diskrepanz könnte kaum größer sein.
Plastik in den Meeren – wie gefährlich ist das?
Das Verpackungsplastik landet nicht selten in unseren Weltmeeren; es wird z. B. von meernahen Deponien ins Wasser geweht. Natürlich tragen Containerschiffe, Kreuzfahrten, Fischkuttern und Bohrinseln dazu bei. Aber auch das Hinterland transportiert seinen Plastikmüll über Flüsse ins Meer. Schätzungsweise 150 Mio. Tonnen Plastik sind so schon in die Ozeane gelangt. Die Tier- und Pflanzenwelt in den Meeren leidet durch Plastik und Mikroplastik. Kleiner Nebeneffekt: Nicht nur die Tiere verenden oder haben schlechtere Fortpflanzungsmöglichkeiten - Mikroplastik ist auch im Speisefisch nachweisbar, das wohl auch eine hormonelle Wirkung im menschlichen Körper hat.
Gesetzlicher Rahmen
Was wird nun auf politischer Ebene getan, um das Thema anzugehen? Das Kreislaufwirtschaftsgesetz hat bereits im Jahr 1996 eine Hierarchie der Abfallbehandlung festgelegt. Demnach ist die Abfallvermeidung der Königsweg, die Beseitigung die schlechteste Möglichkeit. Den größten Bereich bildet aktuell das Recycling von Wertstoffen.
Um die Recyclingquoten zu erhöhen, kam im Jahr 2019 das Verpackungsgesetz hinzu. Ziel ist es, möglichst keine Wertstoffe aus dem Kreislauf zu verlieren. So wurden für zahlreiche Abfallstoffe Recyclingquoten definiert:
Der European Green Deal – der gerade ausgerufen wurde - sorgt dafür, dass die Klimaschutz-Vision der EU in allen europäischen Ländern umgesetzt wird.
Herausforderungen in der Praxis
Auch wenn Probleme wie Mikroplastik in Meeren und Ressourcenknappheit zunehmend ins Bewusstsein der Konsumenten rücken, Verpackungen erfüllen auch zahlreiche Funktionen. Beispielsweise um Qualitäts- und Quantitätsminderungen zu vermeiden, um die Lagerfähigkeit zu verbessern und vor allem auch als Kommunikationsfläche. So transportieren Form und Farbe in Kombination mit dem Logo den Wiedererkennungswert, das Kleingedruckte stellt die vom Verbraucherschutz vorgegebenen Informationen dar und zum Teil sind auch elektronische Bauteile integriert, mit der die Rückverfolgbarkeit gewährleistet wird. Bei vielen Produkten ist eine Verpackung unverzichtbar, auch wenn sie im stationären Handel erworben werden. Für diese Fälle sind Lösungen zu finden, die besser als Plastik und Verbundmaterialien zu recyceln sind.
Mehrweg – Upcycling
Mehrweg dürfte jedem bekannt sein, zumindest aus dem Getränkebereich. Häufig kombiniert mit einem Pfandsystem wird die Verpackung viele Male für das gleiche Produkt benutzt. Egal ob aus Glas oder Plastik, für einen Einsatz in Mehrwegsystemen müssen die Verpackungen robuster produziert werden als für Einweg. Mehrwegsysteme gibt es aber auch abseits der klassischen Getränkeindustrie, zum Beispiel bei Pfand-Versandkartons oder Pfand-Behältnissen im Gastronomiebereich; auch der waschbare Mund-/Nasenschutz oder die Stoffserviette im Restaurant sind im Grunde Mehrwegsysteme. Sie stehen in Konkurrenz zu den Einweg-Alternativen.
Upcycling beschäftigt sich mit dem Aufwerten eines Abfallprodukts. Es wird sozusagen für völlig neue Anwendungen eingesetzt. So werden beispielsweise aus alten LKW-Planen Einkaufstaschen gefertigt oder aus Altglas Windlichter. Einem End-of-Life-Produkt wird somit ein neues Leben geschenkt.
„Ein Enzym, das Plastik frisst“
So titelte die Frankfurter Rundschau (hier der Link) über ein französisches Start-up namens Carbios, das ein neuartiges Biorecycling-Verfahren entwickelt hat. Denn recyceltes Plastik nimmt stetig in der Qualität durch Verunreinigungen ab und wird nach 6 oder 7 Durchläufen unbrauchbar und gelangt in der Regel auf Deponien. Mit einem zugesetzten Enzym kann Plastikmüll nun schnell zersetzt werden. Das Enzym, das als bakterieller Katalysator wirkt, zerlegt die langen Plastikpolymer-Ketten auf natürliche Weise in ihre Bestandteile. Mit der Zugabe weiterer Mikroorganismen beschleunigten die Tüftler von Carbios den Prozess über die Jahre so stark, dass das Enzym eine PET-Flasche binnen zehn Stunden zu 90 Prozent abbauen kann.
Cellulose mit neuen Eigenschaften
Tobias Jung promoviert an der DHBW (Duale Hochschule Baden-Württemberg) und ist Mitglied einer Forschungsgruppe, die sich mit der Entwicklung von Verpackungsmaterial auf Cellulose-Basis beschäftigt. Der Ausgangsstoff wird mit neuen Eigenschaften angereichert und soll als gleichwertiger Ersatz beispielsweise für Einwegplastikteller und Plastik-Strohlhalme eingesetzt werden. Die laufenden Tests sind vielversprechend.
FAZIT
Den großen Versuchungen des Onlinehandels werden wir auf Dauer nicht widerstehen können. Doch müssen wir uns der Bedeutung des Verpackungswahns und dessen Folgen bewusst sein und umweltverträgliche Alternativen befördern. Für planbare Dinge, die es verpackungsfrei bzw.-arm zu kaufen gibt, steht der stationäre Handel mit einem großen Sortiment sowie Beratung und Service dem Kunden zur Seite. Damit ist insgesamt ein individuelles Umdenken erforderlich, das sozial, ökologisch und ökonomisch für die Volkswirtschaft von Nutzen ist.
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